.................
.................
.................
.................
Designtheorie
31. Januar 2004

©  Prof. Ruedi Baur, Intégral Ruedi Baur, Paris

Auch im Design entsteht an den Hochschulen viel Wissen, welches für die Wirtschaft von großer Bedeutung ist. Zumindest theoretisch. Doch in der Praxis fehlt es an Grundlagen und Strukturen. Doch erst Wissen löst die Designtätigkeit von Zufälligen und von Einzelmaßnahmen.

Von Joachim Schirrmacher

Entscheidend für mein Studium war die Reibung zwischen den Polen Hochschule und der parallelen Arbeit als Journalist. Ich begann zu ahnen, dass wir an der Hochschule einiges haben, was denen „draußen“ weiterhelfen kann.

Design braucht Neuorientierung

Im Sommer 1998 gründeten wir – das waren Sandra Buchmüller, Knuth Hornbogen, Gesche Joost, Stefan Schmidt und Ilka Stender – die Initiative „insign Designtheorie und –forschung“. Wir schrieben damals: „Gesellschaftsprägende Produkte und Prozesse wie die Neudefinition von Arbeit, Verlagerung der Kapitalflüsse oder die Medialisierung der Umwelt fordern weit mehr als eine veränderte gestalterische Praxis. Design braucht daher eine erkenntnisgeleitete Neuorientierung des tradierten Berufsbildes, wenn ernsthaft Nutzen gestiftet werden soll. Design braucht Theorie, die das Wissen um und für Produkte und Prozesse, Abstraktes und Konkretes bereitstellt. Design braucht Forschung. Umstände dürfen nicht weiterhin vermutet werden, sondern bedürfen eines empirisch gesicherten Wissens. Design braucht Identität. Theoriebildung und Forschung erweisen sich als adäquate Ansatzpunkte, um das Selbstverständnis des Designs in seiner Vielfalt nach außen kommunizieren zu können. Die Abgrenzung zu anderen Disziplinen kann nicht das primäre Begehren sein, da Design in seinem Wesen interdisziplinär ist. Um die Zukunftsfähigkeit des Designs als eigenständige qualifizierende Dienstleistung zu sichern, wird Innovationspotential benötigt. Doch zum Aufbau fehlt es dem Design in vielen Bereichen an den notwendigen Wissensgrundlagen, bzw. muss vorhandenes Wissen effektiver zugänglich gemacht werden.“ 1 Soweit kurz von den Positionen, welche wir übrigens in zwei Konferenzen vertieften und erörterten.

Aber braucht die Wirtschaft Designtheorie? Ich möchte dies aus der Perspektive meiner heutigen Arbeit in der Modeindustrie und dem Modelhandel kurz skizzieren.

Wissen wird dringend gebraucht

Bei meinem jüngsten Interview wurde sehr deutlich, wie dringend dieses von uns damals ersehnte aber weitgehend noch nicht vorhandene Wissen gebraucht wird. Susanne Tide-Frater, deren Job es ist, Selfridges zum besten Warenhaus der Welt zu machen sagte: „Meine Aufgabe ist es, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Wie man das macht, wussten am Anfang weder mein Chef noch ich.“ 2
Design spielt bei dieser Aufgabe fast überall eine Rolle. Sei es wenn Susanne Tide-Frater die Richtlinien vorgibt für die Einkäufer der 3.000 Marken, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Visual Merchandising, Grafik-Design, und Verkauf. Sei es bei Fragen des Branding, des Service-Designs, der Implementierung des Konzeptes der Nachhaltigkeit in die Erlebniswelten, der Neudefinition der Unternehmenskultur von Selfridges um so überhaupt die 5.000 Mitarbeiter führen zu können oder bei der Suche nach Antworten wie man die Identität, also Emotion, Ethik und Glaubwürdigkeit einer Marke verkauft.

Was sind die Hintergründe?
Mit ihrer Ausbildung als „Archäologin der Zukunft“ bahnte sich Susanne Tide-Frater mühselig ihren Weg. Sie hat großen Erfolg. Selfridges gilt heute, nach langer schwerer Krise, als eines der innovativsten Einzelhandelskonzepte Europas. Susanne Tide-Frater fehlte aber ein Wissen um mögliche Methoden und Theorien die ihr eine Orientierung hätten bieten können. Im Gespräch wurde deutlich, dass Sie sich durchaus bewährter Methoden wie der teilnehmenden Beobachtung bedient, ohne sich aber dessen bewusst zu sein: „Man muss den Asphalt unter den Füßen fühlen und es selber sehen, man kann nicht nur Beobachter, man muss Teilnehmer sein, aber auch wissen auf welchem Hintergrund spielen sich ihre Beobachtungen ab, um sie für sich übersetzten zu können.“ 3
Ähnlich äußerte sich der Industrie-Designer Konstatin Gric: „Designgeschichte ist für mich eine wichtige Inspirationsquelle. Darum liegen auch immer Bücher um mich herum, wenn ich arbeite. Nicht, um Ideen zu klauen, sondern um Referenzen zu haben, wie sie jeder Wissenschaftler oder Schriftsteller auch nutzt.“ 4

Fehlende Kompetenzen
Der Komplexität dieser Geschäftsprozesse stehen wir Designer heute relativ hilflos gegenüber. Denn die Kompetenzen zur strategischen Entwicklung von Design sind – entgegen den Äußerungen der Agenturen in Vorträgen und Broschüren – bis heute kaum ausreichend vorhanden, bzw. werden vorhandene Kompetenzen nicht nachhaltig genutzt. Der Dienstleistungsmarkt Design kann schon in seiner derzeitigen Form den gegenwärtigen Beratungsbedarf in komplexen Prozessen wirtschaftlicher Veränderung nicht ausreichend abdecken. Dass die Problematik bislang kaum virulent wurde, begründet sich im relativ homogenen Leistungsangebot der Agenturen, sowie der schwer einzuschätzenden Qualität ihrer Arbeit. So bleiben herausragende Arbeiten zu oft dem Zufall überlassen. Es geht zu oft um Wähnen, statt um Wissen.

Wissen statt Wähnen
Daher sehe ich an all diesen Stellen einen großen, wenn auch noch wagen, Bedarf an Theorien. Das Tun muss auf ein Wissen gründen. Die Frage ist, wie der Transfer von den Theoriebildenden, wohl zumeist in den Hochschulen, in die Praxis stattfinden kann. Neben individuellen Wegen scheint sich hier vor allem der Designmanager als Mittler anzubieten, da er im Idealfall beide Seiten kennt. Urs Felber schreibt in seiner Dissertation: „Nur ein integriertes Designmanagement löst die Designtätigkeit von Zufälligen, von Einzelmaßnahmen (z.B. nur Product Design) und erhöht durch Planung und organisatorische Verankerung (klare Richtlinien für Designentscheide) deren Effizienz und stellt die notwendigen Verbindungen und das Verständnis zu anderen Unternehmensbereichen her“. 5

Der Einfluss auf ein Unternehmen, das erstmals solch einen Designprozess durchgemacht hat, ist beachtlich. Das ahnte schon Raymond Lowy 1963: „After being involved in a successful design program the client looks with new eyes on all aspects of his own and other business perspectives. He will never be the same once he has exposed his organisation to desgin attention and care.“ 6

Veröffentlicht
Wieviel Theorie braucht/verträgt die Profession?
2. Tagung der DGTF am 30. und 31. Januar 2004 in Hamburg unter dem Titel: „Nutzen und Positionen von Designtheorien

  1. siehe auch: Simpel Text – Das achte Jahrbuch des Kölner Fachbereich Design, 1999, S. 408f
  2. Schirrmacher, Joachim: „Retail Therapy“ in: style in progess 1/04, S.49 – 55
  3. a.a.O.
  4. Architektur & Wohnen 1997
  5. Felber, Urs: „Systematisches Designmanagement in der Unternehmung: Grundlagen und Konzepte“, Marburg 1984, S. 290
  6. zitiert nach Felber 291
Kategorie: Vorträge, – Designtheorie und -forschung - Kommentare(0)
.................

Noch keine Kommentare.

Sorry, the comment form is closed at this time.

Doppelpunkt