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Die Perspektiven zur Zukunft des internationalen Modefachhandels
15. März 2005

«Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass sich das System Einzelhandel in allen seinen Erscheinungen überlebt hat und wir uns etwas Neues einfallen lassen müssen», sagte Dr. Jürg Schüppenhauer, Direktor Unternehmensplanung des Warenhauskonzerns Karstadt, schon im März 1999.

Ob billig oder teuer: Vor allem der Modehandel wird heute weitgehend von Unternehmen bestimmt, die vom «Sheep to Shop» vertikal organisiert sind. Ob Aldi oder Armani, H & M oder Hermès: Sie alle besitzen nicht nur Kapital, Kommunikations- und Distributionsmacht, ihr System verfügt auch über enorme betriebswirtschaftliche Vorteile. Sie machen das Einkaufen einfach: Sie sind überschaubar durch reduzierte Sortimente und berechenbar durch vertraute Ladengestaltung. Und noch nicht genug: Statt Geld mit dem Verkauf von Ware zu verdienen, erzielen Konzerne wie Aldi und Tchibo, mittlerweile mit 1,4 Milliarden Euro Textilumsatz auf Rang sechs beziehungsweise mit 1,066 Milliarden auf Rang acht der grössten deutschen Textilhändler, ihre Gewinne am Kapitalmarkt. Denn zwischen dem Verkauf der Ware und dem Bezahlen ihrer Lieferantenrechnungen lassen sie sich viel Zeit.

Die Allianz der Giganten
Zu den Strategien der Marktbeherrschung gehört auch die Allianz der Giganten. Vertikale Anbieter sind heute die wichtigsten Mieter in den immer grösseren Einkaufszentren. Einst in den USA auf weiter Flur entstanden um in einem Land mit wenigen Städten Orte zum Einkaufen zu schaffen, zerstören diese artifiziellen Welten mehr und mehr die gewachsenen Innenstädte Europas. Kleinere Passagen, welche sich den gewachsenen Strukturen unserer europäischen Städte anpassen, wie die «Fünf Höfe» in München, «Bruno Götgatsbacken» in Stockholm oder «Duke of York Square» an Londons King’s Road, entstehen erst seit wenigen Jahren.

Der klassische Modehandel hat gegen das vertikale System keine Chance. Er muss die gleiche Lederjacke, die bei C & A für 450 Franken hängt, als Markenprodukt für 1200 Franken verkaufen. Er muss seine Ware bezahlen, bevor er sie verkauft. Er hat keine Chance, weil er die Mieten, welche die Konzerne zahlen, nicht erwirtschaften kann und die Banken die Modebranche gesperrt haben. Und er hat keine Chance, weil sein Standort leidet. Werden die Kundenströme nicht durch ein neues Einkaufszentrum verändert, droht vielen kleineren Innenstädten der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit, weil das Zugpferd des Handels, die Warenhäuser, schwächelt. Nur wenn wie in St. Gallen oder Luzern lokales Flair und Kaufkraft zusammenkommen, haben die Innenstädte eine Überlebenschance. Innenstädte ohne Aufenthaltsqualität werden dagegen weiter verlieren.

Der klassische Modehandel ist auch durch das Internet bedroht. Zehn Jahre lang glaubte die Branche, Mode brauche das persönliche Erlebnis beim Einkauf. Der Modehandel hat seine Attraktivität überschätzt und seine Kunden unterschätzt. Längst wissen Kunden, welche Marke welche Passform bietet, können Kunden Stoffe und Farben auch virtuell beurteilen. Für den Chef der Modemesse «Pitti Immagine», Raffaello Napoleone, ist das Internet-Shopping gar «eine der besten Möglichkeiten, die Mode in die Zukunft zu führen». Er hält ein Wachstum des Online-Geschäftes auf einen Anteil von bis zu 30 Prozent in den nächsten fünf Jahren für möglich. Vieles ist schneller und billiger zu finden als in der realen Welt. Die zunehmende Monotonie in den Innenstädten, fehlende Beratung oder nicht vorhandene Artikel treiben zusätzliche Kunden ins Netz. Der Genuss des Einkaufsbummelns, der ja immer öfter ein «Window-Shopping» ist, wurde, wie bei Ebay, durch den Jagdinstinkt ersetzt: «1, 2, 3 meins!» Wer geschickt ist, bezahlt mit den Verkäufen seine Einkäufe und ist fast ohne Kosten besser gekleidet als zuvor.

Die perfekte Langeweile

Es dürfte in Europa so kommen, wie es schon in den USA ist: Der gemeine Bedarf wird durch «Category-Killer» der multinationalen Konzerne gedeckt: auf den ersten Blick hervorragende Geschäfte mit perfekter Warenpräsentation, in denen es aufgrund der Fertigung in China und Indien gute Ware für so wenig Geld wie noch nie zuvor gibt. Als Tourist ist man von «Abercrombie & Fitch», «Banana Republic», «Crate & Barrel», «Potterybarn», «Starbucks», «Victoria’s Secret» oder «Williams-Sonoma» fasziniert. Wer länger in den Staaten bleibt, entdeckt, dass pro Stil- und Preissegment nur zwei bis drei Anbieter um die Vorherrschaft kämpfen. Daneben gibt es fast nur noch Discounter wie Wal-Mart oder Fabrikverkäufe. Nur an wenigen Orten, wie in Soho in New York oder Haight Ashbury in San Francisco, gibt es noch kleine, individuelle Geschäfte, deren wichtigsten Kunden die Trendscouts der internationalen Konzerne sind.

Neben all der perfekten Langeweile lockt die Lust auf das Besondere, die Sehnsucht, in bestimmte Erlebniswelten einzutauchen und seine «Stimmungen zu modifizieren», wie es die Psychologen nennen. Der Einkauf von Lustgütern wie Mode wird daher zunehmend zur Freizeitbeschäftigung («retail therapy» sagen die Engländer dazu). Ob eines der besten Kaufhäuser Europas, «Selfridges», oder Grossmuseen wie die auch in London liegende «Tate Modern», beide Konzepte funktionieren nach denselben Regeln der Unterhaltungsindustrie und verfügen über verblüffend ähnliche Strukturen. Auch «Concept- Stores» versuchen das Beste mit dem Besten zu verbinden, was jedoch nur selten so gut gelingt wie beim Mailänder «10 Corso Como». Er war einer der Ersten, welche Grenzen überwanden und mit dem abenteuerlichen Gefühl arabischer Altstädte lockten. Heute wird der Mode-Shop zur Kunstgalerie («Colette», Paris) oder der Sportshop zum Nightclub (Adidas, Berlin).

Wurde Mode einst auf den Prachtstrassen verkauft, zieht sie sich nun in Hinterhöfe oder anonyme Läden zurück. Auch wer direkt vor dem Geschäft steht, findet nicht immer gleich den Eingang. Rei Kawakubo von Comme de Garçons zog schon 1999 mit ihrem New Yorker Geschäft aus dem von Touristen überfluteten Soho in das bis dahin nur von wenigen Galerien entdeckte Chelsea. Heute schreibt sie mit ihren «Guerilla Stores» wieder Modegeschichte. Weitab von jedem anderen Modegeschäft verkauft sie inmitten von aufgepepptem Sperrmüll teuerste Kleidung. Auch Milliardenunternehmen wie Adidas, Nike und Levi’s versuchen mit ihren coolsten Geschäften den Eindruck zu erwecken, sie könnten sich die Miete nicht leisten. Das hat natürlich seine Logik, denn wenn die billigsten Ketten sich auf den teuersten Strassen dieser Welt präsentieren wie einstmals die edelsten Geschäfte, verliert Exklusivität an Bedeutung.

Zudem geniessen die Kunden das Gefühl, zu den wenigen Eingeweihten zu gehören. Der deutsche Designer Stephan Schneider, Begründer der «reality fashion», sagt: «Mein Kunde will in einer Stadt, in einer kleinen Strasse ein Geschäft entdecken und darin unsere Produkte finden.»

Wahre Exklusivität aus dem Hinterhof
Anspruchsvolle Kunden suchen nach solchen Produkten. Doch auch die individuellen Kleider, wie sie in Hamburg von «FKK» oder «Garment» oder in Zürich von «Yore» oder Chantal Pochon gefertigt werden, folgen dem Diktat der vertikalen Organisation, da im klassischen Vertriebsweg ein Produkt den Kunden etwa fünfmal mehr kostet als dessen Herstellung und damit unverkäuflich wird. Daher funktioniert in diesem Segment vor allem der Atelierverkauf. Hier haben Produkt und Preis noch eine realistische Beziehung, entstehen die Geschichten aus den Produkten heraus und nicht aus fadem «Lifestyle-Geschwätz». Zudem, wie es Regine Steenbock von «Sium» sagt, kann man durch die nahe Werkstatt das Kleid leicht an den Träger anpassen. Es wird speziell für die Kundin in einer anderen Farbe genäht oder der Ausschnitt etwas variiert. Günstiger und exklusiver kann man heute keine Mode kaufen.

Einkaufen bedeutet heute auch eine Werte-Entscheidung: zwischen Grosskonzern und exklusiver Boutique, zwischen Sweatshop und Handwerk sowie zunehmend auch zwischen Anonymität und der mit den Kundenkarten verbundenen Angst vor «Big Brother is watching you». In Zeiten, wo die Westeuropäer zunehmend realisieren, dass sie mit ihren Steuern den Abbau ihrer Arbeitsplätze selber bezahlen, kann das Vertrauen in Aldi, Tchibo & Co. schnell umschlagen.

* Joachim Schirrmacher arbeitet als freier Journalist und Design-Manager in den Bereichen Mode und Design. Er lebt in Hamburg.

Veröffentlicht

Neue Zürcher Zeitung: Lustgüter contra Langeweile, 15. Maärz 2005

Kategorie: Einzelhandel, Mode - Kommentare(0)
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