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Interview: Anne Lise Kjaer
7. Januar 2006

Woran liegt es, dass fast jeder Stil zu jedem Preis erhältlich ist? Chefredakteur Joachim Schirrmacher sprach darüber mit Anne Lise Kjaer. Als studierte Modedesignerin und heutige Trendberaterin für Unternehmen wie Camper, French Connection, Ikea, Sony, Swarovski oder Toyota kennt sie viele Seiten des Geschäftes.

We have too much, and therefore we desire nothing. Anne Lise Kjaer

Joachim Schirrmacher: Es ist paradox: Auf der einen Seite ist Individualität zum gesellschaftlichen Ideal geworden. Andererseits ist die Welt global und gleichförmig geworden. Selbst 11-jahrige Schülerinnen fragen warum heute alle Kleider gleich aussehen. Was ist Ihre Antwort?

Anne Lise Kjaer: Es ist eine Hysterie. Heute reist man sehr viel um in kurzer Zeit soviel wie möglich zu sehen und neue Ideen zu bekommen. Eine Delegation ist in Japan, eine in Amerika, jemand in Mailand, ein anderer fährt nach Südamerika und sie sind auch in Kopenhagen. Aber im Grunde genommen sieht man viel weniger als früher. Und da dies jeder macht, wissen alle alles. Daher gibt es keine Überraschungen mehr. Aber es kommt nicht darauf an, wie viel man sieht, sondern wie genau man die Dinge betrachtet. Die Herausforderung ist, die richtigen Dinge die gut für einen sind miteinander zu verbinden. Für mich liegt die Zukunft darin, weniger aber dafür „meaningful Products“ zu machen.

Was meinen Sie mit „meaningful“?

Sinnvolle Produkte mit Seele. Das Problem unserer Gesellschaft ist es, dass alles schnell, schneller und noch schneller läuft. Aber im Leben geht es nicht nur darum schneller zu laufen. Man muss auch einmal Stop sagen und nachdenken können: Ist das für mich sinnvoll was ich hier mache? Erst zehn Kollektion im Jahr, dann zwei pro Monat, was kommt dann? Eine Kollektion pro Tag?

Selbst hochgenrige Unternehmen orientieren sich an Zara.

Warum kann man nicht auf der eigenen Geschichte aufbauen? Warum will man so werden wie jemand anderes? Wenn man keine eigene Identität hat, ist es sehr schwierig die Nase vorne zu haben. Man ist dann darauf angewiesen jemanden zu kopieren. Das bedeutet, dass man nie ein Marktführer werden kann.

Was steckt hinter dieser globalen Gleichheit?

Vor zwanzig Jahren hatten wir noch unterschiedliche Stile. Deutschland setzte auf Qualität, Italien war lässig elegant, Frankreich immer ganz chic, England ein bisschen ugly, Skandinavien hatte das Klare.

Heute bieten die Unternehmen nicht nur weltweit ihre Kleider an, sondern auch Bettwäsche, Interior, Unterwäsche oder Kosmetik ohne zu überlegen, ob es überhaupt einen Markt dafür gibt. Es kann ja sein, dass ein Unternehmen gute Pullover macht, aber wer sagt, dass sie auch ein gutes Make-up herstellen können? Es ist eine Massenhysterie. Prada macht Unterwäsche? Wir machen Unterwäsche! Gucci macht Parfüm? Wir machen ein Parfüm! Wir haben aber zuviel und daher begehren wir nichts mehr. Deshalb haben wir eine Krise.

Was braucht es?

Wenn man alles anbietet, was macht einen dann besonders? Die Unternehmen haben den Kontakt verloren zu dem was sie von anderen Unternehmen unterscheidet. Ein englisches Sprichwort sagt: „Jack of all trade master of none“, was etwa meint „wir sind Hans Dampf in allen Gassen und können nichts richtig.“

Früher hat die Branche länger im Voraus gearbeitet und ganz genau überlegt was im nächsten Jahr gemacht wird. Jetzt haben wir so kurze Lieferrhythmen, dass einfach keine Zeit zum Denken bleibt. Statt besser ist es nur schneller. Wenn man etwas Fruchtbares schaffen will, muss man einen Samen in die Erde legen und abwarten bis die Frucht aufgeht und zu einem schönen Baum reift. Jede große Idee braucht Zeit und Erfahrung damit sie Realität wird.

Heute ist die eigene persönliche Erfahrung der Schlüssel, um einzigartige Visionen für die Zukunft zu entwickeln. Wir leben in einer kritischen Zeit der Transformation. Sie enthält die große Chance wieder zu überlegen was für eine Zukunft wir haben wollen. Die Leiterin Trends und Strategie bei dem Elektronikkonzern Philips, Josephine Green, sagte auf unserer Konferenz „Time to Think“ dass Produktivität, Performance, Effizienz und Geschwindigkeit uns nicht länger helfen werden, eine sinnvolle Zukunft zu gestalten. Stattdessen brauchen wir Zeit zum Nachdenken: Was für eine Lebensqualität wollen wir, auch jenseits des Konsums? Wie kann zukünftig Wachstum aussehen? Welche Zukunft erscheint uns sinnvoll?

Ist diese Gleichheit auch ein Produkt der Mediengesellschaft? Wir sind immer besser informiert und dadurch immer schneller gelangweilt. Ein auffälliges Beispiel ist das Geschäft von Victor & Rolf in Mailand, in dem alles auf dem Kopf zu stehen scheint. Es war in jedem Magazin abgebildet. Ähnlich war es ja mit dem Geschäft von Prada in New York.

Wie ehrlich darf ich hier sein?

Wir sind bemüht nüchtern zu sagen was ist.

Haben Sie den Prada-Laden in New York gesehen? Das ist ein ganz langweiliger Laden ohne Seele. Die Geschäfte von Prada hatten begonnen wie ein sehr teurer Premium-Supermarkt auszusehen: überall das Gleiche. Dann hat Prada auf eine neue Strategie gesetzt. Aber die funktioniert nicht, denn es ist zu statisch, es ist nicht schön und nicht natürlich. Ähnlich Donna Karan: In ihr Geschäft in die Bond Street hier in London kommen ganze Busladungen voll Touristen nur um sich diesen Tempel mit den seelenlosen und überteuerten Produkten anzusehen; niemand kauft dort. Die Modeindustrie hat den Bogen überspannt. Das Problem ist, dass man nach Aufmerksamkeit schreit. Was ist der nächste Trick, den ich machen kann? Es gibt einfach zu viel da draußen wofür kein Markt besteht.

Es herrscht ein reiner Verdrängungswettbewerb. US-Unternehmen haben die Vorgabe, jedes Jahr auf dem gesättigten deutschen Markt 20 Prozent mehr Umsatz zu machen.

Verdrängung ist ein gutes Wort, denn man verdrängt das wirkliche Problem. Man kann doch nicht jedes Jahr 20 Prozent mehr Umsatz machen.

Das sagt der gesunde Menschenverstand. Aber das Kapital sagt: „Wenn Du das nicht machst, dann kommt der Nächste“.

Wir leben in einem großem Dilemma. Auch ich mit meinem kleinen Trendbüro musste mich entscheiden: höre ich mit der Überproduktion auf oder schließe ich mein Büro? Also habe ich aufgehört Sachen zu machen, die keinen Sinn mehr machten und produziere nur noch eins statt acht Trendbücher im Jahr. Warum soll ich Trendbücher für eine so schnelle Industrie machen? Die Modebranche kann ich vergessen.

Warum?

Weil Sie keine Zeit haben sich in ein solches Buch einzulesen. Sie sagen: „Warum soll ich 500 Pfund oder 750 Pfund für ein Buch bezahlen? Da kann ich fünf Mal nach Mailand fahren.“ Sie haben kein Geld und wollen für Rat nichts zahlen und denken sie können alles besser und billiger machen. Doch sie ahmen nur sklavisch nach. Ich habe es geliebt Designerin zu sein, aber ich wurde so desillusioniert. Wenn Du kontinuierlich missverstanden wirst, wenn dir niemand zuhört, weil sie keine Zeit haben und sagen eine gute Kopie ist besser als eine schlechte Imitation, dann verliert man das Ziel und damit den Sinn seiner Arbeit.

Und doch hat Modeinformation Kramer 126 Trendbücher im Angebot.

Es ist wie ein Supermarkt.

Mein Eindruck ist, dass durch die Trendbücher ein wesentlicher Teil der Kreation ausgelagert wird. Sie bieten die technischen Zeichnungen, die Farben, die Materialien. Es fehlt nur noch die Webadresse, wo man den Schnitt herunterladen kann. Da ja auch die Produktion ausgelagert wurde stellt sich die Frage, was das Argument für die Unternehmen ist, auf dem Markt weiter bestehen zu bleiben.

Unsere Welt ist auf Logik, Fakten und Zahlen aufgebaut. Der Mensch ist aber nicht geschaffen Logik zu verstehen, sondern vor allem Geschichten. In meinem Büro helfen wir Firmen neue Geschichten zu erzählen.

Dennoch sagen Sie: Ich erzähle den Unternehmen seit 15 Jahren „Feeling“ und diese verlangen Fakten.

Das ist das Dilemma. Ich bin vor zehn Jahren aus der Modebranche ausgestiegen. Ich habe gewusst, dass das passieren wird. Design hat keinen Wert mehr. Das zeigt sich schon am Gehalt, das sich seit über zehn Jahren nicht verändert hat. Und daher haben wir auch kein Design mehr, sondern Kopien. Doch wer mit dem Kopieren so weitermacht, kann seine Existenz vergessen.

Wie viele Unternehmen aus Westeuropa haben noch eine Chance weiter zu bestehen?

Ich weiß es nicht. Man sollte vielleicht jetzt gleich zusperren oder das Versäumte nachholen, bevor es zu spät ist. Man muss sich hinsetzen und darüber nachdenken, was man mit seiner Zukunft machen will. Es wird immer Fabrikanten geben, die sehr billig produzieren. Aber es ist nicht mehr genug einfach nur billig zu sein. Qualität zu einem guten Preis wird zum Standard werden.

Das ist der alte Wert eines guten Preis-Leistung-Verhältnisses. Und dann sprechen wir von der Mittelschicht des Marktes.

Diese Schicht existiert nicht mehr. Man hat entweder Premium-Qualität und man bezahlt mehr oder man hat günstigere Produkte mit dennoch guter Qualität.

Aber die Qualität von H&M genügt mir nicht und Hermés kann und will ich mir nicht leisten. Ich möchte gute Qualität zu einem nachvollziehbarem Preis.

Es stimmt was Sie sagen. Es gibt eine Marktlücke für die Mitte des Marktes. Das ist weder billig noch teuer. Aber es muss aufregend sein. All der langweilige Kram ist vorbei. Ich will Originalität! Ich verlange Persönlichkeit! Die Marke ist mir egal! New Basics und New Premium sind die beiden Pole. In der Mittel kann man sinnvolle Dinge produzieren zu einem guten Preis. Das ist die Zukunft.

Um seine Kredite bezahlten zu können, hat Prada angekündigt einen Gewinn von 25 Prozent zu erwirtschaften, unter anderem durch Verlagerung der Produktion nach Fernost. Eine Faustregel sagt, dass Produkte im Einzelhandel fünfmal mehr kosten als die Produktionskosten betragen. Aber in der Mode müssen die Kunden das Zehnfache und mehr des Produktionswertes zahlen.

Das ist ein sehr, sehr heikles Thema. Jeder ist da sehr empfindlich. Wir sind glaube ich alle klug genug um zu wissen, dass wir mit einem Premium-Preis nicht für die bessere Qualität bezahlen, sondern für das Image. Wir können ewig darüber reden, aber…

Kaufen Sie gerne ein? Ich nicht. Wissen Sie warum? Die Unternehmen geben so viel Geld aus, um Aufmerksamkeit zu erregen, dass die Werbung zu Lärm geworden ist. Und je mehr wir Verbraucher diesen Lärm und diese Krise ignorieren, umso lauter werden die Schreie. Die Frage ist daher nicht ob, sondern wann die Unternehmen sich endlich mit der Krise befassen.

Ist die Idee des Premium-Images vorbei?

Markentreue ist Vergangenheit. Heute sprechen wir über New Basics, Fair Fashion und New Premium. Man kann also ein Image auch ganz anders gestalten. Man muss viel abenteuerlustiger und intelligenter sein. Das Problem ist, die Konzerne mögen die Idee der Massenmanipulation. Wir leben in einer Welt, in der die Großen größer werden und die Kleinen sterben. Gerade deswegen ist Fair Fashion, wohinter die Idee eines ethisch verantwortungsvollen Konsums steht, ein Schlüsselfaktor. Wir sprechen hier nicht über eine Evolution, sondern über eine Revolution. Statt mehr Produkte zu schaffen, müssen wir Produkte kreieren die so interessant sind, dass ich nicht ohne sie leben möchte.

Sie sprechen damit auch den Graben zwischen dem intellektuellen und dem kreativen Prozess an.

Der Mathematiker Henri Le Poincaré hat gesagt: „Mit der Logik kann man alles beweisen, Neues entdecken wir durch unsere Intuition.“ Für so viele Jahre hatten wir eine Gesellschaft der linken Gehirnhälfte, des Rationalen. Es gab zwar ein paar intellektuelle Kreative, aber die Rationalisten waren die Anführer und die intellektuelle Kreativen die Mitläufer. Jetzt beginnt sich das zu verlagern. Mehr und mehr Kreative sind jetzt die Anführer der Gesellschaft und die Rationalisten die Mitläufer.

Diese Position wird ja von verschiedenen Experten geteilt. Allerdings haben die Manager noch die Macht in den Unternehmen. Und sie werden nicht so einfach bereit sein die aufzugeben.

Natürlich nicht, ihr Problem ist vor allem, dass sie so ängstlich sind. Wir wollen diese Leute ja nicht loswerden, sondern das Emotionale und Rationale verbinden um eine viel attraktivere Zukunft zu gestalten. Es geht um eine andere Sichtweise. Das Problem ist, dass die meisten Strategien nur Fakten und Zahlen berücksichtigen. Es gibt keine emotionalen Dimensionen.

Nein! Das Neue muss von Herzen kommen, wenn es die Menschen berühren soll. Und dann muss man natürlich an Hand von Fakten und Zahlen herausfinden ob es funktioniert. Nicht anders herum.

Was müssen die Designer tun, damit das Management sie versteht?

Designer haben keine Macht. Sie müssen ein System finden um die Leute zu überzeugen, die auf dem Geld sitzen. Designer können zwar schöne Dinge entwerfen, aber wenn sie es nicht erklären können, werden sie nie Machtpositionen erreichen. In meinem Büro arbeiten wir daran, die rationale und emotionale Welt zusammen zu bringen.

Sie sind also kein Trend-, sondern ein Übersetzungsbüro.

Wir übersetzten Trends indem wir mit den Managern, den Einkäufern, den Marketingabteilungen eine Strategie erarbeiten. Wenn wir unsere Gestaltungsidee haben, schauen wir wie wir dies mit den Fakten zusammenbringen können.

Wenn auch die Kunden all diese Zusammenhänge die wir hier diskutieren zwar nicht im Detail kennen, so ahnen sie es doch zumindest. David Bosshart schrieb daher in der Kulturzeitschrift „Du“, es gibt heute keine Geschäftskunden und Endverbraucher mehr, sondern nur noch eine Art von Kunden, weil die Informationskanäle gleich sind.

Der Schlüssel um den Kunden von morgen zu verstehen, ist ihn als dynamischen Teil unserer wirtschaftlichen Kette und nicht als Glied am Ende der Kette zu sehen. Die Konsumenten haben heute höhere Erwartungen und mehr Möglichkeiten zu wählen. Es sind also viel komplexere Entscheidungsmuster. Diese Komplexität muss man navigieren.

Viele Entscheider sind Betriebswirte mit einer oft linearen Ausbildung: Wenn ich den Werbedruck erhöhe steigt der Umsatz. Wie können die Ihren Ansatz verstehen?

Wir haben uns von der Landwirtschaft zur Industrie über die Wissensära bis zum heutigen Konzeptionszeitalter entwickelt. Ein Geschäftsmann muss also auch immer mehr konzeptionell denken. Jüngere Leute haben einen Master of Business Administration und kombinieren diese wirtschaftliche Ausbildung mit Philosophie oder Anthropologie. Man kann sich nicht alles rational herleiten.

Das heißt wir erreichen eine höhere Komplexität der Geschäftsmodelle?

Zukünftig werden wir es mit größeren, aber komplexeren Märkten zu tun haben. Wir verlagern in Europa unseren Schwerpunkt vom Überfluss zu einer Balance der Vielfalt. Weil dies so komplex ist, muss man einen höheren emotionalen Level haben. Viele Geschäftsführer sagen mir heute, dass Intuition ihr wichtigstes Werkzeug ist. Früher durften die so etwas nicht sagen.

Warum machen Sie dann nicht den Schritt vom Trendbüro zum Designstudio?

Wir machen Konzepte für Design. Die Unternehmen haben gute Designer. Aber sie brauchen ein gutes Briefing, ein gutes Konzept.

Aber es ist doch die ureigenste Aufgabe von Unternehmern die strategischen Ziele vorzugeben.

Die Unternehmen kommen zu uns und sagen: Wir haben eine Idee. Könnt ihr uns helfen, dafür Argumente zu finden? Es ist sehr wichtig eigene Ideen zu haben, aber auch die Bestätigung von außen ist sehr wichtig und dies bieten wir unseren Kunden. Wir unterstützen die Unternehmen beim Bilden von Szenarien. Dazu braucht man Leute mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Viele konzentrieren sich nur auf ihre Branche. Aber man muss auch Beispiele aus anderen Zweigen heranziehen um herauszufinden wie man seine Ideen übersetzen kann. Man muss inspiriert sein vom Konzept und man muss fühlen, dass es für einen funktioniert. Es braucht dazu Anthropologen, Soziologen, Philosophen sowie Marketing- und Wirtschaftsfachleute.

Sie haben also eine Mission um die Welt zu verbessern?

Ich habe eine kleine Mission, ja. Ich möchte eine Inspiration sein. Ich bin sehr oft der Weckruf in den Unternehmen. Sie haben gute Zahlen und Fakten, ein smartes Marketing aber wohin führt das? Glauben Sie das kann noch fünf oder zehn Jahre lang so weiter gehen?

Wenn Sie sagen, es gibt einen Mangel an neuen Ideen und Planung in den Unternehmen, bedeutet dies ja, dass es eine Veränderung im System braucht. Wie sollte dies aussehen?

Keiner mag darauf eine Antwort geben. Viele Firmen sind derzeit in Panik. Sie meinten, ich zeige in meinem Trendbuch nichts Neues. Doch, ich führe die Unternehmen zurück zur Basis, zu grundlegenden Fragen: Wo kommen sie her? Was ist von Bedeutung für sie?

Sie versuchen den gesunden Menschenverstand wieder in die Unternehmen zurückzubringen?

Genau das versuche ich. Ich habe mit großartigen Firmen gearbeitet, die genau wissen, dass man frühzeitig etwas tun muss um weiter die Nase vorne zu haben. So mit Ikea, die fünf bis zehn Jahre im Voraus arbeiten. Ein Beispiel: Ich habe für das Farbenunternehmen Dulux gearbeitet, die hatten 100 Wandfarben in der Kollektion. Ich habe unter dem Thema „Seaside“ eine ganz klare Kollektion mit 16 Farben entwickelt. Es gab große Diskussionen. Man hat nicht geglaubt, dass etwas so Einfaches so erfolgreich ist. Es ist seit dem Launch 2000 ein Bestseller.

Es braucht also Mut?

Es braucht Mut. Warum muss der Otto Versand einen 500-seitigen Katalog haben? 100 Seiten mit weniger Marken können viel erfolgreicher sein.

Das bedarf aber der Veränderung des gesamten Systems. Otto hat Einkäufer, die für bestimmte Seiten verantwortlich sind. Wenn er zuviel eingekauft hat belastet das sein Ergebnis, und das wiederum seine Karriere.

Weil ein smarter Businessman kalkuliert hat, wie er mehr Profit machen kann. Er denkt linear: wenn er billiger anbietet, kaufen die Kunden mehr. Aber für all diese überflüssigen Dinge gibt es doch immer weniger Kunden. Will Otto fünfmal dasselbe an den gleichen Kunden verkaufen? Es sollten zwei völlig verschiedene Dinge sein.

Dies kann ja nicht der Mut des Verzweifelten, sondern muss ein wissender Mut sein. Wie kommen die Leute zu diesem Wissen? Noch einmal: Wie kann man den intellektuellen und den kreativen Prozess enger zusammen zuführen?

Ich bin eine kreative, emotionale Person und erkläre Dinge mit vielen Worten. Ein pragmatischer, rationaler Mensch möchte nur zwei Worte hören. Das ist ein fundamentales Problem. Weniger reden und mehr sagen ist eine schwierige Kombination und bedeutet für beide Seiten ein Arbeiten an der Frustrationsgrenze.

Ein einfaches Beispiel: Der Manager will einen Milchkaffee. Ich möchte auch eine Tasse Kaffee aber aus einem speziellen Wasser, aus Fair-Trade Bohnen und mit Sojamilch ohne genetische Modifikation. Was für ein Geschwätz! Aber es ist kein Unsinn, denn es kommt aus meinem Herzen. Der Manager fragt: Warum zahlt Du zwei Euro mehr, es ist doch bloß Kaffee. Es ist also ein Diskurs zwischen zwei Welten, welche zusammengeführt werden müssen.

Manager müssen also lernen zuzuhören?

Sie müssen lernen zu fühlen. Sie hören ja genug, aber sie verstehen nichts. Es muss vom Kopf in den Körper übergehen, sie müssen es fühlen.

Wie viel Zeit haben wir in Westeuropa um uns diese neue Arbeitsweise anzugewöhnen? Die Chinesen sind ja fleißig dabei europäische Marken aufzukaufen.

Auch hier gibt es nicht nur eine Antwort. Wenn wir über Herstellung sprechen, dann ist das Problem, dass jemand in der Kette weiter unten das durch den Kauf eines solchen Produktes unterstützt. Wir müssen das, was wir ausgelagert haben wieder einlagern. Wir müssen wieder lokal produzieren. Tesco hat bei uns in England fast ein Monopol – wir nennen das Tescopol. Sie verkaufen Bücher, Musik, Kleider, Versicherungen, einfach alles.

Sie verkaufen so viel, dass sie Einfluss darauf haben, was auf die Bestseller Liste kommt und damit verkaufen sie noch mehr. Das ist ein sich selbst erfüllendes System.

Ja, es ist sehr erschreckend. Der einzige Weg ist, das zu boykottieren. Kaufe keinen Starbucks Kaffee. Gehe nicht zu Tesco. Kaufe bei den kleinen Geschäften, wenn du dein Land unterstützen willst.

Man mag es ja nicht gerne aussprechen, aber wenn wir zum Ende einen Blick in die Zukunft werfen, scheint es dramatisch zu werden. Nur zwei Beispiele: Die neue deutsche Regierung greift den Bürgern so tief in die Taschen wie noch nie zuvor. Gleichzeitig zünden junge französische Staatsbürger, die keiner braucht, Autos an, weil sie dies als einzige Möglichkeit sehen um auf sich aufmerksam zu machen. Niemand hat mit diesen Unruhen gerechnet. Jemand wie Sie, die gelernt hat die Zeichen der Zeit zu deuten: Was lesen Sie daraus?

Sie haben im Vorgespräch einen Schulfreund erwähnt, der seit Jahren Angst hat seine Arbeit in Deutschland als Schlosser zu verlieren, weil seine Aufgaben nach Polen oder China verlagert werden. Viele dieser qualifizierten Leute werden in unserer Gesellschaft nicht mehr gebraucht. Das ist ein großes politisches Problem, das weit über den Konsum hinausgehen. Wir alle müssen uns neu auf die Zukunft einstellen. Die Welt ist in einem politischen Ungleichgewicht. Aber eigentlich bin ich froh, dass so etwas passiert, damit wir endlich sehen, dass es diese Probleme überall gibt: In Deutschland, Frankreich oder England. Dieser Aufstand zeigt, welche Probleme die Regierungen beiseite geschoben haben, wie eine arme Familie, die man nicht kennen möchte. Und jetzt fällt alles auf uns zurück, weil wir uns nicht früher darum gekümmert haben. Es ist eine globale Krise, die passiert, während wir ängstlich auf Asien blicken. Das ist der große Konflikt: Wie gehen wir mit den Problemen vor unserer Haustür um?

Die Mode kann nicht alleine Antworten darauf geben, aber muss sich die Mode nicht diesen Themen stellen?

Natürlich! Darum sage ich ja: Wir produzieren einfach zu viel was wir nicht brauchen. Wir müssen zum Kern dieser Branche zurückkehren!

Hat die Mode also ihre Position als Göttin des Scheins eingebüsst? Nimmt sie ihre Rolle als Seismograph der Gesellschaft noch wahr?

Ich sehe das nicht. Ich habe Mode immer als sehr oberflächlich, als extrem seelenlos erfahren.

Manchmal reflektiert Mode das Geschehen in der Gesellschaft. Aber die trendigsten Leute, die ich sehe sind in der Kunst zu finden. Die Kunst reflektiert sehr viel davon was in der Gesellschaft passiert. Wenn man Modedesigner ansieht, ist das eine einzige Masse ohne große Unterschiede.

In der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat Hanno Rauterberg geschrieben: „Nie war die Kunst so erfolgreich wie heute. Nie war ihr Ansehen schlechter. In Ihrer Allgegenwart hat sie ihren eigentlichen Wert verloren. Der Kunst fehlt Kraft, Einfluss und gesellschaftliche Relevanz.“ Eine Aussage die sich leicht auf die Architektur, das Design oder die Mode übertragen lässt.

Kunst ist modisch geworden. Das Problem ist die Geschwindigkeit der Gesellschaft. Der Hund versucht sich in den Schwanz zu beißen. Und wenn man auch von einer Artshow spricht, die künstlich entstanden ist, so sehe ich doch eine Bewegung von Leuten, die zu Schöpfern werden. Ich möchte mein Leben selbst gestalten und nicht das Opfer von denen werden, die 20 Prozent mehr Profit auf meine Kosten machen. Ich bin der Konsument und ich habe die Macht. Ich entscheide selbst, dass ich meine Kleider nicht bei Tesco kaufe. Ich glaube an eine bessere Zukunft, wenn wir bei den kleinen Händlern kaufen. Am Ende entscheiden wir, die Konsumenten, selbst über unser Schicksal. Wenn wir weiterhin billige Massenprodukte kaufen, werden wir eines Tages arbeitslos sein und dann können wir uns gar nichts mehr leisten. Es geht also um die globale Balance.

Die heutige Geschwindigkeit beeinflusst alles, auch unsere Entscheidungsmuster. Aber am Ende des Tages muss man sich entscheiden wer man sein will, wenn man wahrgenommen werden möchte. Und wenn ich das weiß, kann ich mich fragen was ich für meine Zukunft möchte, egal ob als Hersteller, Arbeiter oder Privatperson. Doch wir haben dazu keine Zeit, weil wir ständig einkaufen, essen, konsumieren. Wir haben für uns selber zu entscheiden was für eine Zukunft wir wollen.

Ganz herzlichen Dank für dies Gespräch!

Kjaer Global

versteht sich als ein Trendbüro der neuen Generation, welches sich auf die Übersetzung von Konsumenten Trends in ganzheitliche Produktkonzepte spezialisiert hat. Gegründet wurde es 1988 von der Modedesignerin Anne Lise Kjaer (geboren 1962 in Esbjerg/DK) in Dänemark. Seit 1992 sitzt das Büro mit achten festen und vier freien Mitarbeitern in London. Kunden sind überwiegend multinationale Unternehmen unterschiedlicher Branchen wie Camper, French Connection, Ikea, Sony, Swarovski, Toyota oder die Kopenhagener International Fashion Fair (CIFF). Anne Lise Kjaer hält zahlreiche Vorträge und ist Mitglied der Bristish Textile Colour Group sowie im Beirat des Brüssler Decosit Trend Komitees. Jedes Jahr im Oktober veranstaltet Kjaer Global eine Trendkonferenz in Kopenhagen. Anne Lise Kjaer spricht englisch, dänisch, deutsch und spanisch. www.kjaer-global.com

Veröffentlicht

Style in Progress 1/2006 unter dem Titel „Viel Langeweile und kein Verlangen“, Seite 25 – 32

Kategorie: Design, Mode, – Interviews - Kommentare(0)
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