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Tchibo
19. September 2008

Bloggerin Kirsten Brodde zwingt Tchibo nach der Greenpeace-Maxime „die Botschaft gewinnt an Größe, wenn sie auf ein Minimum reduziert wird“ in einen öffentlichen Konflikt.

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© Erik Seemann

Ökoaktivistin fordert Tchibo heraus und schafft ein Lehrstück über die Macht von Internetblogs.

Von Joachim Schirrmacher

„Lieblings-Shirts online selbst gestalten“, warb der Hamburger Kaffee- und Konsumkonzern Tchibo pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft. Die Hamburger Journalistin und Ökoaktivistin Kirsten Brodde konnte nicht widerstehen. Doch statt Fan-Shirts bestellte sie T-Shirts mit dem Aufdruck „Tchibo-Shirts: Gefertigt für Hungerlöhne“ und „Dieses T-Shirt hat ein Kind für Tchibo genäht“. Die „drastischen Vorwürfe“ kann Brodde „nicht beweisen, es ist pure Spekulation – nur gedeckt von den Berichten der Kampagne für Saubere Kleidung“. 2005 konfrontierte die Organisation Tchibo mit dem Vorwurf massiver Arbeitsrechtsverletzung. Das Unternehmen reagierte, erstellte Richtlinien und warb Achim Lohrie als Leiter der Abteilung für soziale Verantwortung vom Hamburger Otto Konzern ab.

Anstoß aus der Gesellschaft

Brodde zwingt zwar Tchibo in einen öffentlichen Konflikt, doch ihr geht es „nicht um Ressentiment gegen große Konzerne, sondern um die Modernisierung einer Branche, deren Kunden längst weiter sind als sie selbst. Die wissen wollen, wo und wie produziert“ wird, schreibt sie auf ihrem Blog www.gruenemode.de, den sie seit April 2008 betreibt.

Vorbild Nike

Vorbild ihrer Aktion ist die des US-Studenten Jonah Peretti, der 2001 bei Nike Schuhe mit dem Wort „sweatshop“ bestellte. Da Nike sich weigerte, den Schuh auszuliefern, stellte Peretti den Schriftverkehr ins Internet und erregte so weltweite Aufmerksamkeit. Tchibo hingegen tat, woran Brodde selber nicht glaubte: Die T-Shirts wurden geliefert. Schnell wurde die Aktion zu einem Lehrstück über die Macht des Blogs.

Märkte sind Gespräche

Anders als noch 2001 bei Nike, wurden die gewünschten Aufdrucke nicht von Menschen, sondern von einer Software auf Inhalte überprüft, und der Computer hatte nichts auszusetzen. „Das Tchibo geliefert hat, sah aus wie ein Eingeständnis“, sagt Brodde gegenüber Style in Progress. Diese Lücke im System hat Tchibo inzwischen geschlossen.
Zunächst nimmt der Konzern die Aktion humorvoll, dann kippt die Stimmung. Brodde möchte, dass Tchibo wie Nike und Adidas eine Liste aller seiner Produktionsstätten im Internet veröffentlicht. Doch der Konzern bittet laut Brodde telefonisch zunächst um Rückgabe der Shirts, dann um Entfernung der Fotos aus dem Blog sowie die Zusicherung, „die T-Shirts weder zu vervielfältigen, noch zu tragen.“ Die Aktivistin fühlt sich herausgefordert und wünscht eine Stellungsnahme: „Willkommen in der Blogosphäre, Tchibo“.

Emotionen gegen Fakten

Die Ansprüche der Blogger sind für Tchibo neu: „Da lernen wir erstmal“, sagt Lohrie. Externe Kommunikationsexperten raten Tchibo zur Zurückhaltung, weil die Argumentation im Blog zu emotional ist. „In einer gesteuerten Öffentlichkeit wie Runde Tische mit Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften, kann ich kontrolliert und sachlich argumentieren“, begründet Lohrie im Gespräch mit Style in Progress, trotz des Aufrufs und zahlreicher Medienberichte die Zurückhaltung.

Kontrollierte Kommunikation

Tchibo will die Situation beherrschen, erst wissen, in welcher Richtung sich die Meinungsbildung entwickelt, um dann den Prozess einer „kontrollierten Kommunikation“ steuern zu können. „Komplexe Fragen wie Sozialstandards mit ihrem hohem emotionalen Faktor, erfordern die Reduzierung der Komplexität. Das kann ich nur, wenn ich den Stand der Meinungen kenne“, sagt Lohrie. Auch Tchibo-Sprecher Andreas Engelmann sagt: „Wir haben nicht die zwingende Notwendigkeit gesehen, schnell zu reagieren. Unsere Strategie ist es nicht, auszusitzen, sondern eine Stellungsnahme zu veröffentlichen, zu einem Zeitpunkt, an dem es um die Sachfragen geht.“

Enttäuschte Blogger

Es ist fraglich, ob Tchibo mit dieser Strategie gut beraten ist. Denn zum einen sind Konflikte an sich hochgradig kommunikativ. Zudem übersieht dieser klassische Ansatz, dass das Image von Unternehmen schon längst auf vielfältige Weise von Kunden mitgesteuert wird. Ihr Protest ist ein Kommunikationsangebot an das Unternehmen. Wenn das abgelehnt wird, wird es nicht nur interessant für die Medien, die Blogger sind auch enttäuscht und Enttäuschung führt bekanntlich zu besonders heftigen Reaktionen. Und nicht zuletzt: „Fakten und Kommunikation sind nicht mehr zu trennen. Auch eine rechtliche und wissenschaftliche Legitimation hilft nicht“, sagt Jürgen Schulz, Professor am Institut für Theorie und Praxis der Kommunikation der Universität der Künste Berlin.

Die Botschaft gewinnt an Größe

Gefährlich ist so eine Aktion auch für Unternehmen, weil Blogs sehr schnell funktionieren. Es ist wie bei Journalisten: Wer fragt, der führt. Wenn dann kein klares Statement kommt, verselbstständigt sich die Geschichte in Windeseile nach dem Stille-Post-Prinzip. Es bleibt nur der Vorwurf im Raum: Hungerlöhne. Greenpeace nutzt diesen Mechanismus und  arbeitet nach der Maxime: die Botschaft gewinnt an Größe, wenn sie auf ein Minimum reduziert wird.

Antizipieren, aber nicht überreagieren

Auf diese Taktik eine angemessene Reaktion zu finden, ist schwierig. Schulz: „Man muss mögliche Reaktionen der verschiedenen Akteure antizipieren, aber nicht überreagieren. Dafür gilt es zu klären: Tangiert es die Kunden? Wer ist sonst davon betroffen? Welche Folgen haben die Entscheidungen?“

Schlagkräftiges Netzwerk

Kirsten Brodde ist nicht irgendeine Bloggerin. Sie schreibt als Redakteurin des Greenpeache-Magazins seit Jahren über umwelt- und sozialgerechte Herstellung von Kleidung, unterstützt das Internetportal für nachhaltigen Lebensstil, Utopia, und arbeitet an einem Buch über grüne Mode. Sie verfügt zudem über gute Kontakte zu Medien und in die Politik. All das wusste Tchibo nach eigener Aussage. Mit einem klaren Kommentar im Blog hätte Tchibo Brodde aufgrund ihres allgemeinen Vorwurfs, schnell den Wind aus den Segeln nehmen können. Doch so beginnt die Welle Dank der „Power of the Crowd“ zu rollen.

Dynamik der Medien

Über 50 Blogger verlinken Broddes Blog. Die große Aufmerksamkeit kommt, als Kirsten Brodde den entscheidenden Schritt auf die Straße geht. „Fragen Sie mich nach meinem T-Shirt“, steht auf dem Schild, mit dem sich Brodde vor einer Tchibo-Filiale am Hamburger Rathhausmarkt hinstellt – am Tag von Tchibos Hauptversammlung. Die Mitarbeiter im Laden werden nervös und rufen die Polizei. Die Beamten halten die Aktion für eine freie Meinungsäußerung. Dennoch bricht Brodde nach 37 Minuten die Aktion ab. Das Ziel ist erreicht. Denn vor Ort waren auch eine Reporterin und ein Fotograf von Spiegel online. Die Geschichte erscheint auf der Startseite. Eine mediale Eigendynamik beginnt. Fernsehsender und Fachpresse reagieren, immer mehr Medien übernehmen die Geschichte. Meist in stark verkürzter Form, was dem Stille-Post-Effekt der Blogger gleichkommt. Innerhalb weniger Tage gibt es mehr als 25.000 Googel-Treffer, Juristen und Medienwissenschaftler fangen an den Fall zu diskutieren.

Die Gefahr lauert überall

Nun bräuchte es nur wenig, um den Fall zu einer ausgewachsenen Krise werden zu lassen. Springen Politiker, Talkmaster, Wettbewerber, Nicht-Regierungs-Organisationen auf das Thema und füllen das Sommerloch? Gibt es in der Lieferkette von Tchibo Missstände und ein Insider steckt dies den Medien? Die Gefahr besteht. Gerade in der Mode mit ihrem Geltungsnutzen gibt es reichlich Themen: Der Gegensatz von Sein und Schein, Fertigungskosten und Verkaufspreis, Produkt und Image ist einfach zu groß. Angriffspunkte lauern es im äußert komplizierten System der weltweiten Fertigung überall. Wer kann garantieren, dass seine Kleider ohne Kinderarbeit gefertigt, alle Grenzwerte eingehalten werden? Es braucht nur eine geschickte Bloggerin, die ohne Apparat und Mittel die Sache ins Rollen bringt.

Veröffentlicht
Style in Progress 4/2008, S. 24

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