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Design Reaktor Berlin - Designmanagement
26. November 2008

Nicht nur Produkte, auch Prozesse bis hin zu Geschäftsmodellen können gestaltet werden. Experten geben Einblicke aus der Praxis.

Von Joachim Schirrmacher

 

 

Kaum waren die ersten Produktideen entstanden, wurden im Design Reaktor Berlin schon die ersten Vermarktungs-Strategien entwickelt. Diese frühe Verbindung war Konzept, um schon in der Enwurfsphase von den Wechselwirkungen zu profitieren. Immerhin ist heute fast jedes Produkt in jeder Stil- und Preisklasse erhältlich. Da bedarf es einer präzisen Positionierung. Traditionell wird erst ein Produkt entwickelt, dann der Vertrieb und schließlich die Kommunikation geplant.

Designmanagement steigert die Effizienz der Entwicklung 1, stärkt die Identität der Produkte und trägt wesentlich dazu bei, dem Kunden die Geschichte des Produkts zu vermitteln und damit Akzeptanz oder sogar ein Begehren auszulösen.

Strategisches Design-Management

Was unter Designmanagement verstanden wird, ist äußert heterogen 2 und in Deutschland immer Meinung von Einzelpersonen geblieben. Hier geht es nicht um das operative Projektmanagement – also die Umsetzung von Zielvorgaben durch Organisation, Kommunikation, Budget- und Rechtsfragen –, sondern um strategisches Design-Management. Darunter wird ein offenes Feld eines komplexen, nichtlinearen, dynamischen Prozesses von gestalterischen, kommunikativen, ökonomischen, organisatorischen, technologischen, sozialen sowie kulturellen und ökologischen Faktoren verstanden. Ein Prozess, der die intuitiven, kreativen Aspekte nicht negiert, aber auf strategischer Arbeit beruht. Vor allem ist Designmanagement ein lösungsoffener Prozess, der für jedes Projekt eine individuelle Strategie erarbeitet. Ausgangspunkt ist die Frage: Was ist das eigentliche Problem? Ohne eine derartige Analyse kann es leicht passieren, dass das falsche Problem handwerklich richtig gelöst wird. 3

Neben dem gestalterischen Impuls des Designers muss deshalb auch die Sicht des Kunden in den Prozess einfließen. Im Design Reaktor Berlin kam uns zudem die große Bandbreite an Erfahrungen der Beteiligten zugute.

Dynamische Projektsteuerung

 

Designmanagement ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Erfahrung voraussetzt. Zumal es in Gestaltungsprozessen oft zu nicht auflösbaren Widersprüchen kommt (sogenannte Antinomien). 4 In der Praxis gibt es daher oft ein Ringen zwischen einer offiziellen, offensichtlich breit akzeptierten „professionellen linearen Arbeitshaltung, […] in der Planungsschritte sukzessive und planmäßig erfolgen“ (wie Pläne mit konsistenten und folgerichtigen Projektschritten) und einem verschwiegenen, inoffiziellen und chaotischen Arbeitsablauf, welcher aber der effizientere zu sein scheint, wie Andreas Knierim in seiner Studie „Coaching und Produktentwicklung – Beratungsprozesse im Designmangement“ analysiert.

Im Design Reaktor Berlin haben wir uns daher von Anfang an für eine dynamische Projektsteuerung entschieden, die Planung also immer wieder neu an den Stand der Erkenntnisse angepasst. Das stellte hohe Anforderungen an die Projektleitung; nicht zuletzt, da die Teilnehmer immer wieder verlässliche Pläne einforderten 5.

Beispiele aus der Praxis

Im Design Reaktor Berlin ging es nicht darum, ein bestehendes Kundenproblem zu lösen, sondern nur auf Basis der Fähigkeiten der beteiligten Unternehmen eigene Entwürfe und Produkte für den Markt zu entwickeln. Darüber hinaus fehlte es den Studierenden naturgemäß an Erfahrung, zumal Designmanagement kein Lehrgebiet an der Universität der Künste Berlin ist.

Aus diesem Grund begleiteten den Design Reaktor Berlin öffentliche Expertengespräche zu Markt-, Kommunikations- und Distributionsstrategien. Ziel war es, den Studierenden und interessierten Unternehmen anhand von drei Beispielen aus der Praxis aufzuzeigen, dass es Sinn macht diesen Komplex im Ganzen zu denken. Den Auftakt bildete die Veranstaltung „Designmanagement – Die ganze Geschichte“. Sie fand aus Anlass des „Designmai“, eine Art Leistungsschau Berliner Designer, im dortigen Auditorium statt.

Später folgten weitere Veranstaltungen zu „Erfolgsfaktoren im Einzelhandel“ und der Verbindung von Hochschule und Markt, denn all diese Prozesse und deren Interaktion stellen selber Gestaltungsoptionen dar, um das Potenzial neuer Produktideen bestmöglich auszuschöpfen.

Nicht beabsichtigt war es jedoch, in den beteiligten Unternehmen eine Basis für ein Designmanagement zu schaffen. Auch hier galt ein Perspektivwechsel im Vergleich zu anderen Forschungs- und Designförderprojekten. Der Design Reaktor Berlin wollte die beteiligten Unternehmen nicht von den Vorteilen des Designs überzeugen, noch wurde für sie entworfen, sondern es wurde gemeinsam gearbeitet – sie waren gleichberechtigte Partner.

Konsequente Individualität

Das schweizer Unternehmen Freitag ist ein gutes Beispiel, welche Bedeutung nicht nur die Integration von Produktentwicklung, Kommunikation und Distribution, sondern auch eine konsequent erzählte Geschichte haben kann. Die Freitag-Taschen und Accessoires aus recycelte LKW-Plane sind an sich einfache Produkte. Die Frage, warum Freitag damit seit 14 Jahren erfolgreich ist, lassen die beiden Gründer, Daniel und Markus Freitag, in ihrer Präsentation von einem „Marketingarschloch“ beantworten: „Freitags USP ist Individualität. Das ist das Erfolgeheimnis.“ Und das nicht nur bei den Produkten, die von den Kunden seit 2001 auch online selbst gestaltet werden können, sondern auch in der Kommunikation oder den eignen Geschäften in Davos, Hamburg und Zürich. Der Stil ist sofort erkennbar: „Wir mögen das Rohe, Radikale, Einfach und das Ironische, Widersprüchliche, Witzige. Ich langweile mich, wenn alles aufgesetzt und angepasst daher kommt“, sagt Markus Freitag. Auch wenn das Unternehmen locker erscheint, steckt doch die Erfolgsformel vieler Firmen dahinter: „Community, Content and Commerce“. Der große Unterschied: Während die Brüder im seperaten Büro überwiegend am Content, wie der Produktentwicklung, arbeiten, sind angestellte Geschäftsführer für das Alltagsgeschäft verantwortlich.

Zumuten statt anbiedern

Auch Dienstleistungen, wie die der Diakonie in Düsseldorf6, müssen in ihren Prozessen, Gebäuden und Atmosphären gestaltet werden. Und das für rund 70 Einrichtungen mit 1.400 Angestellten und 1.000 ehrenamtlichen Helfern und die gesamten Palette sozialer Arbeit – vom Haus für minderjährige Mütter bis zum Seniorenheim. Doch statt der tradierten Ästhetik sozialer Einrichtungen setzt der Vorstandsvorsitzender Torsten Nolting auf Architektur, Design und Kunst. Er möchte bei seinen Klienten die Sehnsucht nach einem anderen Leben wecken und gleichzeitig das Selbstverständnis der Diakonie von innen erneuern. „Das Ambiente ist nicht hochgradig designt, aber so gestaltet, dass sich niemand abqualifiziert und ausgegrenzt fühlt. Auch jeder von uns sollte da gern sitzen.“ In diesem Sinn arbeitet Nolting mit  renommierten Gestaltern wie Baumschlager-Eberle (Campus), Fons M. Hickmann (Grafik), Axel Kufus (Café), Mischa Kuball (Kunst) oder Tobias Rehberger (Berger Kirche) zusammen.

Nolting gab auch Einblick, welche Anforderungen die Arbeit der Gestalter an einen Auftraggeber stellt: So hat der Anspruch von Hickmanns Plakaten Nolting in seiner Arbeit herausgefordert. Zudem musste er immer wieder „Dinge entscheiden, die ich eigentlich gar nicht überlegen wollte. Ich wurde gezwungen über Prozesse nachzudenken, die ich nur erahnen konnte. Es war wie beim Fussball – die Gestalter haben immer wieder den Ball nach vorne gespielt“.

 

Das Wichtigste ist die Präsenz

Das künstlerische Experiment „Chicks on Speed“ist nicht nur aufgrund der Verflechtung von Kommerz, Subkultur und Kunst interessant, sondern auch ihr Weg zum weltweiten Ruhm. Diesen Erfolg verdanken die „Meisterinnen der Markenprofilierung im Zeitalter der Markenseuche“7 einer Vielfalt an Verweisen innerhalb ihrer Projekte, die sich gegenseitig stärken. Ob Minimal-Electro-Band mit Videos und Life-Konzerten, selbst gestalteten CD-Covern und dem Plattenverlag „COS-Records“, Modelabel, Performances in Kunstinstitutionen wie 2005 im Museum of Modern Art in New York oder einer Installation, in der produziert und verkauft wird und die sich per Webstream in einen Online-Shop verwandelt. Diese durchgängige Do-it-yourself Ästhetik – eine Collage aus Jugendkulturen wie Punk, Graffiti oder Hip-Hop – fand sich dann auch in der Power-Point-Präsentation von Alex Murray-Leslie, einer der Gründerinnen, wieder. Ihre Botschaft: „Ob bezahlt oder unbezahlt – das Wichtigste ist die Präsenz“. Sei es in klassischen Medien oder auf auf mySpace, dem „eigentlichen Fenster zu Welt“. Nicht dort zu sein bedeutet „in der Branche inexistent zu sein.“ Und so lautet dann auch ihre Showeinlage: „MySpace, your Space, who Spaces is it?“.

Getreut ihrem Motto „Alles was fehlt, machen wir selbst“, haben Chicks on Speed dem Ruhm auch schon mal nachgeholfen; ihr  Protoyp einer Chanel-Tasche fand in den Medien große Resonanz. „Oft kannst du Storys erfinden. Wenn du genug Fantasie reingibst, dann wird es real. Vor allem, wenn es in den Medien erscheint“. So entstanden Spuren, die sich wie ein Virus überall verbreiteten und in zahlreichen Mode- und Lifestylemagazinen, aber auch Kollektionen von Yves Saint-Laurent, Martine Sitbon, Louis Vuitton, Dior oder H&M auftauchten.

Erfolgsfaktoren im Einzelhandel

Während auf Produktentwicklung und Kommunikation meist großer Wert gelegt wird, setzt man bei der Distribution oft auf bestehende Kontakte oder die Gepflogenheiten der Branche. Welch großer Gestaltungsspielraum hier vorhanden ist, wurde auf der Veranstaltung „Erfolgsfaktoren im Einzelhandel“ deutlich. Denn die Wahl des Vertriebswegs kann die angestrebte Positionierung und Umsatzschancen entschiedend beeinflussen. Neue und klassische Fachgeschäfte, große und kleine Vertikale, kultige und kommerzielle Anbieter, Nischen- und Massenmärkte, Multi- und Monobrand-Shops, Einkaufsstraßen und Einkaufszentren, stationäre und temporäre Geschäfte, Versand- und Onlinehandel sowie deren Mischformen (Multi-Chanel-Vertrieb) stehen als Gestaltungsoptionen zur Auswahl. Anstelle der klassischen Parametern des Handels wie Standort, Frequenz, Kundenprofile, Sortimentsbildung, Visual-Merchandising, Beratungsqualität oder Kennzahlen wie Quadratmeterumsatz und Lagerumschlagsgeschwindigkeit standen drei sehr unterschiedliche Konzepte im Mittelpunkt der Veranstaltung. „Berlinomat“ ist eine Verkaufsplattform für Berliner Designer. Auf 260 Quadratmetern werden Mode, Möbel und Accessoires von 150 Berliner Gestaltern angeboten. Der Gründer, Jörg Wichmann, zeigte, wie er darüber hinaus durch zahlreiche Kooperationen mit der Industrie Berliner Design national und international vermarktet.

Spannend war, wie ähnlich die Instrumente dieses kleinen Nischenanbieters und die der ECE – Europas größtem Betreiber von Einkaufszentren – sind. ECE-Bereichsleiter Matthias Brink, verwendete allerdings ein anderes Vokabular als Wichmann, als er über die Steigerung der Kundenfrequenz durch Events oder die Beratung seiner Mieter sprach.

Nische und Kommerz verbindet Thomas Lipke in seiner Arbeit als Geschäftsführer bei Globetrotter. Das 1979 auf 150 Quadratmetern gegründete „Spezialgeschäft für Expeditionen, Safaris, Survival und Trekking“ entwickelte sich schnell zum Lifestyle-Unternehmen und ist heute europäischer Marktführer. Möglich wurde dies durch das Teilhaben an zwei Communities: Lipke ist nicht nur begeisterter Outdoorfan, sondern, wie er verriet, auch Mitglied im Chaos Computer Club. So gelang es ihm sehr früh, eine vielfach ausgezeichnete Multichannel-Strategie mit einem herausragenden Community-Management aufzubauen.

Hochschule und Markt

Anregungen und gute Vorbilder gibt es viele. Doch diese Erkennisse an einer Universtität nicht nur zu studieren, sondern auch umzusetzten, ist eine große Herausforderung. Wie sehr beide Systeme nach ihren eignen Gesetzen und Geschindigkeiten arbeiten, wurde bei der Veranstaltung „Hochschule und Markt“ deutlich.

Die Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle, betreibt in der Innenstadt ein eigenes Geschäft. Prof. Klaus Michel zeigte die Erfolge des Geschäfts und von Aktionen auf dem Berliner Designmai sowie auf Messen in Köln und Frankfurt auf. Er machte aber auch deutlich, dass die notwendige kontinuierliche Betreung auf Dauer nicht von einer Hochschule zu leisten ist.

Vom Anspruch an die eigene Arbeit und dem Absatz an renommierte Einzelhändler des Modelabel der FHTW Berlin, „30 Paar Hände“, berichtet Prof. Uwe Janssen. Studierende mehrerer Fachgebiete erproben hier den Alltag. Für ein stärkeres Unternehmertum trat Prof. Dr. Günter Faltin ein, der an der FU-Berlin Entrepeneurship lehrt. Er stellte unter anderem sein bekanntestes Beispiel für schlanke Unternehmen, die „Teekampagne“, vor. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden hat Prof. Dr. Jörg Petruschat mit den Studierenden einen Design-Check für regionale klein- und mittelständische Unternehmen angeboten. Akzeptanz und Positionierung ihrer Produkte, Auftritt und Selbstdarstellung des Unternehmens sowie vorhandenen Innovationspotentiale wurden analysiert. Auch hier wurde deutlich, dass Markteinführung und Veränderungsprozesse meist mehrere Jahre brauchen.

Business Design

Grundsätzlich können Designer nicht nur Produkte, sondern Prozesse bis hin zum „Business Design“, dem Enwurf von Geschäftsmodellen, gestalten. In seinen „Spekulationen über eine zukünftige Geschichte der Gestaltung“ sagte daher auch Gui Bonsiepe8: „Design weitete sich in eine Grundlagendisziplin an den höheren Lehranstalten aus, weil eben Design – als entwurfsorientiertes Handeln verstanden – alle anderen Bereiche menschlicher Praxis tangiert. Design [ist …] – wie die Sprache – ein Grundmodus des Verhaltens in der Welt und zu der Welt.“

So wie der Design Reaktor Berlin zahlreiche Beispiele für eine Zukunft des Designs aufzeigte, so auch die Experten in ihren Vorträgen. Sie waren fast alle, ganz im Sinne Bonsieps, keine Designer. Dennoch konnte das Design viel von ihnen lernen. Es geht immer um die ganze Geschichte.

Veröffentlicht

Kufus, Axel; Seng, Judith; Piesbergen, Marc; Schirrmacher, Joachim: Design Reaktor Berlin, Universtität der Künste Berlin, 2008, S. 56 – 63


  1. In Japan over 60 per cent of design changes occur during the definition stage and only 10 per cent during a redesign priod prior to launch. In contrast, the characteristics displayed by UK and USA companies showed only 17 per cent of the changes during the definition stage compared to over 50 per cent during the period prior to introduction. Design Council (Hrsg.): Organizing (product design) and development, London, 1991, S.14-15
  2. Einen Überblick und z.T. eine Analyse über die Literatur zum Design-Management geben u.a.:

    • Enders, Gerdum: Design als Element wirtschaftlicher Dynamik, Herne 1999

    • Knierim, Andreas: Coaching und Produktentwicklung – Beratungsprozesse im Designmangement, Kassel 1999.

    • Meier-Kortwig, Hans Jörg: Design-Management als Beratungsangebot, Köln 1997

  3. Der ‚1. Denkfehler: Probleme sind objektiv gegeben und müssen nur noch klar formuliert werden‘ (Gomez/Probst, 1987, S. 16.) ist nur zu vermeiden, wenn man das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Enders 1999, S. 121ff.
  4. siehe: Knierim, Kassel 1999, S. 178
  5. Eine Einführung dazu gibt Christopher Dell im Buch-Kapitel „Improvisation als Technologie“
  6. Siehe auch: Schirrmacher, Joachim: Aktualität behaupten. In: Design Report 12/2003, S. 52 – 55
  7. Siehe: Liebl, Franz: Unbekannte Theorie-Objekte der Trendforschung (LVII): Versuchsanordnungen: Künstler als strategische Akteure. In: kunstaspekte; Düsseldorf 2007
  8. Bonsiepe, Gui: „Spekulationen über eine zukünftige Geschichte der Gestaltung. In: Form 164, 4/1998, S. 25
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