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Die Geschichte der Mode in Deutschland – Deutsche Mode 2/8
16. Februar 2010

Die Fußballweltmeisterschaft 2006 gilt als "Deutsches Sommermärchen", hier Lukas Podolski und David Odonkor auf der Fanmeile in Berlin.

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© Adidas

Ein Blick in die deutsche Modegeschichte zeigt: Mode und Identität hängen eng zusammen. Doch die konnte sich in Deutschland wegen der wechselvollen Geschichte kaum bilden. Erst seit der Wiedervereinigung 1990 klärt sich die deutsche Identität. Und prompt blüht die Mode in Deutschland auf.

Von Joachim Schirrmacher

Über Jahrhunderte war der Adel wesentlicher Motor der Mode. Mit aufwendiger Garderobe buhlte er an den Höfen um die Gunst der Könige und Kaiser. Vor allem der französische Hof in Versailles war tonangebend – in ganz Europa. Diese Tradition prägt die französische Mode bis heute.

Ganz anders in Deutschland. Hier konnte aufgrund der vielen historischen Brüche und der Kleinstaaterei – 1856 gab es noch 30 selbständige deutsche Staaten – keine führende Mode entstehen. Im Gegenteil: Es gibt mit der deutschen Romantik sowie der Leibfeindlichkeit der Protestanten eine lange Tradition in der Verachtung äußerer Konventionen.

Berlin – a flagship of style

1871 mit der Gründung des Deutschen Reichs und der Wahl Berlins zur Hauptstadt begann der Wandel. Rund um den Hausvogteiplatz siedelten sich zahlreiche Modesalons und Konfektionshäuser vor allem jüdischer Mitbürger an. Bald schon entstand der Berliner Chic, der in den „goldenen“ 1920er Jahren seinen Höhepunkt hatte. Damals zählten deutsche Frauen zu den elegantesten Europas. 1933, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, war die erste, kurze Blüte der deutschen Mode schlagartig vorbei.

Lifestyle Propaganda

Die Nationalsozialisten setzten für die Allgemeinheit mit Tracht, Gretchenzopf und ohne Make-up ein völkisch-nationalistisches Mutterbild durch, wie Irene Guenther in ihrem Buch „Nazi Chic?“ schreibt. Vor allem jedoch wurden die jüdischen Unternehmer und Arbeiter in den Konzentrationslagern ermordet oder ihre Modehäuser wurden im Zuge der „Arisierung“ aufgelöst. Nur wenige konnten emigrieren. Dass es aber auch Haute Couture Schauen für die Nazi-Elite gab, ist heute weitgehend unbekannt. Die moderne Frau wurde, schreibt Irene Guenther, als Instrument einer Lifestyle Propaganda benutzt. Alltagsästhetik und Design, Paraden und Fackelzüge, Inszenierungen und Kulissen wurden von den Nazis gezielt genutzt, um das Massenbedürfnis nach Identifikation, Gemeinschaft, Unterhaltung und Schönheit zu befriedigen. „Die Nazis entwickelten unter dem Primat der Politik die erste kapitalistische Massenkultur auf europäischem Boden. … Sie wurde von den Nazis bewusst als ein die Massen blendendes und bindendes Herrschaftsmittel eingesetzt“, schreibt der Schweizer Designtheoretiker Beat Schneider.

Benimm und Kommerz

Nach dem Zweiten Weltkrieg schneiderte man Mäntel aus Uniformen und Kleider aus Fallschirmen und erstarrte in Biederkeit und Benimmregeln. Die deutsche Gesellschaft suchte nach dem verübten Holocaust nach Fassung, wollte sich vom Elend und vom Ruch der Barbarei durch Etikette befreien. Zusammen mit der Kritik der dominanten Denker Max Horkheimer und Theodor W. Adorno „Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug“, die Kultur und damit auch Mode als Ware ansahen, und der antibürgerlichen Haltung der 1968er Bewegung führte dies zu einem durchdringenden Misstrauen gegen Mode und Stil. „Das ist Kommerz“, ist bis in die heutige Zeit ein oft gehörtes Argument intellektueller Debatten.

Hinzu kam, dass es bis zum Umzug der Bundesregierung nach Berlin 1999 kein gesellschaftliches Zentrum in Deutschland gab, wo sich Mode entfalten konnte.

Egalitarismus statt Elite

Es hatte in Deutschland keine Tradition, den Kopf aus der Menge herauszustecken, die Mehrheit maskierte sich lieber als uniforme Masse: „Obwohl es Klassenunterschiede gibt, sollen sie nicht dargestellt werden“, schreibt Jens Jessen in der Untersuchung „Leben in Deutschland“ der Wochenzeitung „Die Zeit“. Kleine Bürger putzen sich nicht heraus wie Großgrundbesitzer und die Eliten verbergen „mit einer Art finsterer Genugtuung die Merkmale ihres Status“. Guter Stil ist, sich auffallend unauffällig zu kleiden.

Lernen von der Welt

Neben dem Neubeginn der Berliner Couture (u.a. Horn, Staebe-Seger, Gehringer & Glupp, Uli Richter) keimte parallel die heutige Vielfalt auf: Die Besatzungstruppen aus den USA, Großbritannien und Frankreich brachten ihre Lebensweisen und Moden wie Jeans und T-Shirts mit nach Westdeutschland. Die Deutschen begannen zu reisen – und wurden darin Weltmeister. Zusammen mit Austauschprogrammen und Einwanderern, Bücher, Filmen und Musik aus dem Ausland wurde die deutsche Kultur bereichert. Zuerst in der Küche, dann in den Gewohnheiten. Auch der Wunsch nach Mode wuchs. Und zwar nicht nur in Bundesrepublik, wie die Ausstellung „In Grenzen frei.
Mode, Fotografie, Underground in der DDR 1979-89“ im Berliner Kunstgewerbemuseum jüngst eindrucksvoll zeigte.

Event statt Eleganz

Beeinflusst von einer neuen Generation englischer Modemagazine wie ;-D und Face und der experimentellen Elektromusikszene setze die Jugend dem „mordslangweiligen Mode-Kommerz“ ihre Lebensfreude entgegen. Zunächst als Rebellion von Halbstarken, dann als Hippies, Rocker, Punker bis später zur Clubwear und zu den Anhängern der Technoszene. Mode war nicht mehr Eleganz, Mode war jetzt Event. Die Kleider waren schrill und oft untragbar: Neonfarben, Kunstrasen und Duschvorhänge. Berlin als Frontstadt des kalten Krieges war Magnet für alle, die der spießigen deutschen Realität entfliehen wollten. Hier trafen sich Trend und Trasch, wurden in Performances neue Präsentationsformen ausprobiert. Mode wurde immer mehr ein bewusstes Mittel der Kommunikation, der Abgrenzung und Einordnung.

Ein gutes Umfeld für den Aufstieg von Designern wie Wolfgang Joop und Jil Sander.

Be German, but be locker

Seit der endgültigen Klärung der deutschen Frage mit der Wiedervereinigung 1990 klärt sich auch die deutsche Identität. Bis dahin waren formal die vier Siegermächte für Deutschland verantwortlich. Das Ausland war das Maß aller Dinge. Wer seine Identität suchte, ging dafür in die Ferne, am liebsten in die USA. Der zunehmende Abstand zur eignen Geschichte lässt die Deutschen ihr Land neu entdecken. Statt sich für Solidität, Ernsthaftigkeit, Funktionalität und deutsche Wertarbeit zu schämen, erkennen sie die Vorteile der eigenen Stärken wieder. „Seit der Wiedervereinigung hat deutsche Mode ein neues Gesicht bekommen: einen eigenständigen, klaren deutschen Stil“, heißt es zur Ausstellung „moDe! – Deutsche Modedesigner und ihr Stil“ die 2005 vom Goethe-Institut in Tokio gezeigt wurde.

Gelassenheit mit Stil

Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurden diese Veränderungen augenscheinlich, kaum ein deutsches Medium, dass sich damals nicht mit dem neuen deutschen Selbstbewusstsein beschäftigte. So kam 2003 ein Lifestylemagazine unter dem Namen „Deutsch“ heraus – was zuvor undenkbar war. Die Redaktion verstand „Deutsch als Synonym für Weltoffenheit, Pluralismus und Toleranz“. International wurde dieses neue deutsche Selbstbild erstmals während der Fußballweltmeisterschaft 2006 wahrgenommen. Diese Anerkennung von außen beflügelte Deutschland so, dass viele bis heute gern von einem „Sommermärchen“ sprechen.

Angst vor der Macht der Bilder?

Denoch: Die ideologischen Exzesse der Nazizeit sind untergründig bis heute zu spüren. Bis heute gilt vielen das Ausland als Maß aller Dinge, werden die eigenen Stärken gering geschätzt. Es gibt wohl nur wenige Kulturnationen, in der so viele Kreative ihre eigene Sprache verleugnen und ausschließlich englischsprachige Webseiten veröffentlichen.

Auch stellt sich die Frage, warum es in Deutschland seit Jil Sander keine große imagegetriebene Modemarke wie Polo Ralph Lauren gibt, obwohl die Kompetenz vorhanden ist.

Ist es die Angst vor der Macht der Bilder – man denke nur an Leni Riefenstahl –, welche die Nazis so brutal politisch missbraucht haben? Obwohl deutsche Modeschöpfer wie Bernhard Willhelm oder Frank Leder in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Gregor Hohenberg zeigen, dass sie Marken schaffen können, die von starken Bildern leben (und zwar ohne die geringsten nationalistischen Anklänge, wohl aber mit lustvollen Spielen der deutschen Identität): Es gibt davor offenbar eine große Scheu in Deutschland.

Veröffentlichungen

Erstveröffentlichung unter dem Titel „Identität und Tradition“ in gekürzter Form in: Deutschland Magazin 1/2010

„Deutschland“ ist das internationale Magazin der Bundesrepublik Deutschand. Es wendet sich in elf Sprachen an Entscheidungsträger aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft in 180 Länder. „Deutschland“ erscheint als Print- und Onlineausgabe zweimonatlich im Societäts-Verlag, Frankfurt am Main, in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, Berlin.

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Kommentare(1)
  • 1. Fashion Week nicht am Ende! Siems Luckwaldt vs Der Spiegel:

    […] Week Berlin, würde sich vermutlich selbst Freud die analytischen Zähne ausbeißen. Update: Eine vorzügliche historische Abhandlung zu diesem Thema hat Joachim Schirrmacher veröffentlicht, Projektleiter des European Fashion Award. […]

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