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Interview: Raf Simons – Schwerpunkt: Deutsche Mode 4/8
16. Februar 2010

Backstage während der Präsentation der Jil Sander Damen Kollektion Frühjahr/Sommer 2010 von Raf Simons.

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© Jil Sander

Raf Simons ist einer der bedeutendsten Designer seiner Generation. Der 41-jährige Belgier ist Kreativdirektor der Damen- und Herrenlinie von Jil Sander und entwirft eine eigene Männerlinie. Er spricht mit Joachim Schirrmacher über die Arbeit zwischen Nische und Big Business sowie er lernte bedeutsame Mode zu schaffen die zugleich etwas spielerisches hat.

Joachim Schirrmacher: Was assoziieren Sie mit Deutschland und Mode?

Raf Simons: Ich frage mich, wo die jungen deutschen Modedesigner sind. Deutschland hat eine so reiche ästhetische Geschichte, so viele bedeutende Künstler, Designer und Institutionen wie das Bauhaus. Das was in einer bestimmten Epoche des 20. Jahrhunderts in der deutschen Geschichte passierte, ist für mich keinen Grund, das hier keine bedeutenden Modedesigner mit einer sehr interessanten und kraftvollen Stimme herangewachsen. Die Künstler werden in Deutschland doch auch hervorragend gefördert.

Interessiert Sie, was in Deutschland passiert?

Ach, ich bin eigentlich sehr auf Deutschland fixiert. Ich wuchs in Belgien nur 20 Minuten von der deutschen Grenze entfernt auf. Ich bin damals einmal im Monat nach Köln gefahren und habe die zeitgenössische Kunstszene verfolgt. Heute verfolge ich sie in Berlin. Die deutsche Kunst hat eine sehr interessante Entwicklung durchgemacht. Ich bemühe mich stets die Documenta in Kassel zu besuchen, da sie Nachwuchstalenten in der Kunst eine Chance gibt.

Welche deutschen Modedesigner kennen Sie?

Karl Lagerfeld – er wirkt fast so, als sei er aus einem anderen Jahrhundert. Und trotzdem besitzt er zeitgenössische Relevanz im 21. Jahrhundert. Ich kenne keine fünf Namen in der Mode, die das von sich behaupten können. Mir ist natürlich Wolfgang Joop bekannt, ich kenne Stephan Schneider sehr gut, der in Antwerpen studiert hat oder Dirk Schönberger. Ich kann Ihnen auch all die Namen der Industrie wie Hugo Boss, Strenesse, Adidas oder Puma nennen. Aber wir sprechen doch mehr über High Fashion.

Einen der wichtigsten deutschen Namen in der Mode nennen Sie nicht…

Weil ich dort arbeite. Jil Sander hat mich am meisten beeinflusst. Deswegen wollte ich die Position dort auch unbedingt haben.

Eine deutsche Designerin hatte den größten Einfluss auf Sie?

Ja, eine deutsche. Ich habe die Welt um mich herum seit Anfang der 1990er Jahre sehr bewusst wahrgenommen. Obwohl Jil von außen kam, war sie damals für den Purismus und die Idee der berufstätigen Frau sehr relevant.

Sie gehörte damals zur Weltspitze.

Absolut. Was mich beeindruckt, ist wie sie alles – Lebensstil, Materialien oder die Werbung – ausbalanciert hat. Ein perfektes Zusammenspiel. Es ging um Luxus und Moderne, Reinheit und Qualität. Dieser Purismus hat sehr gut in den 1990er Jahren funktioniert. Doch Mode ist stark vom Zeitgeist abhängig.

Jil Sander ist seit 2004 nicht mehr im Unternehmen. Es wäre interessant gewesen zu sehen, wie sie sich in den letzten Jahren, in denen die Mode sehr geschmückt war, entwickelt hätte.

Es ist die persönliche Entscheidung eines jeden Designers, ob er das große Geschäft will oder lieber in seiner Nische bleibt. Sie hatte sich für das große Geschäft entschieden. Wenn man diesen Sprung wagt, dann bedient man ein großes Publikum, leitet ein großes Unternehmen und trägt die Verantwortung für viele Mitarbeiter. Da gibt keine Alternative. Mode von Unternehmen dieser Größe wird daher viel stärker von den Bedürfnissen des Publikums bestimmt, als viele glauben.

Wie oft haben Sie die Gelegenheit, nach Berlin zu kommen?

Letzten Sommer war ich drei Tage da.

Was war Ihr Eindruck?

Berlin ist heute eine sehr saubere, sanierte Stadt. Diese ganz besondere gefährliche, attraktive Atmosphäre: das wilde, ungezügelte Leben, der ganze Müll, die verschiedenen politischen Hintergründe. Das scheint nun alles irgendwie vorbei zu sein. Es ist wunderbar, diesen Wandel zu erleben.

Die Mode in Deutschland ist stark in der Sportswear- und Streetwear verwurzelt, bis hin zur Clubwear, die aus der Technoszene wie Kraftwerk entstanden ist.

Kraftwerk ist Teil meiner Geschichte, meines Lebens. Viele Menschen sehen Deutschland als ein kaltes und abweisendes Land. Mode gilt eher als warm und unterhaltend und weniger ernsthaft.

Wenn andere Journalisten über Sie schreiben, liest sich das oft sehr deutsch…

Lacht

„Er war will alles über die Leute um ihn herum wissen“, „geht der Sache auf den Grund“, „sucht den Kern“, „nimmt die Dinge ernst“…

Wir kommen beide aus dem Norden! Hier nehmen wir die Dinge wirklich sehr ernst. Die Belgier wurden oft für ihre Mode kritisiert: zu depressiv, zu geladen, zu ernst. In gleichem Maße wie dies eine Persönlichkeit schafft, kann es einem auch behindern. Mode hat eben auch eine Seite die nicht so ernst ist. Und ich lernte damit umzugehen. Lange war Mode für mich sehr ernsthaft und tief: Konzept, Psychologie, Sozialverhalten, Gruppen spielten eine Rolle, warum Menschen sich bestimmten Bildern verbunden fühlen, wie nehmen Menschen sich und ihre Mitmenschen wahr. Als ich vom Industrie-Design in die Mode kam, war dies für mich essentiell. Doch ich merkte, dass Mode eben auch eine andere Seite hat, die nicht so ernst ist. Sie hat auch etwas flüchtiges (sagt es in Deutsch) und ich versuche nun eine Balance zu finden. Ich möchte mit meiner Mode etwas schaffen, das Bedeutung und zugleich etwas Spielerisches hat. Mode ist stark abhängig vom jeweiligen Land. In Italien ist die Mode sehr lässig.

Dort geht es unmittelbarer um die Schönheit, um Leichtigkeit, Heiterkeit. Man arbeitet nicht bewusst mit all diesen Codes und dieser Aufladung.

Voilà! Damals habe ich das kritisiert, heute nicht mehr. Man muss wissen, dass für die übrige Welt der Mode die reine Schönheit genauso bedeutsam ist. Auch wenn es für mich persönlich nicht so wichtig ist. Das muss man verstehen, wenn man wirklich etwas in der Welt der Mode erreichen will. Man kann nicht gegen das System arbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Raf Simons (1968) studierte Industriedesign in Genk (Belgien). Über ein Praktikum bei dem Antwerpener Modedesigner Walter van Beirendonck kam er zur Mode. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Modedesigner seiner Generation. Nach der Auszeichnung mit dem Swiss Textile Award wurde er Kreativdirektor für die Damen- und Männermode von Jil Sander. Zudem entwirft er seine Männerlinie Raf Simons und für Kooperationen mit Eastpak, Fred Perry, Dr. Martens und Linda Farrow.

Veröffentlichungen

Erstveröffentlichung unter dem Titel „Raf Simons: ‚Ich möchte mit Mode etwas schaffen, was Bedeutung hat“ in gekürzter Form in: Deutschland Magazin 1/2010

Tagesspiegel, 22. Januar 2010: „Mode ist abhängig vom jeweiligen Land“ in gekürzter Form.


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