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Bürokonzepte für die Arbeitswelt der Zukunft
29. Oktober 2010

Sevil Peach hat das Büro von Vitra in Weil am Rhein gestaltet.

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© Vitra

Unternehmen verlangen von ihren Mitarbeitern immer mehr. Gleichzeitig wollen sie im Bereich der Arbeitsplätze weiter sparen. Das hat nun weit über die Designerszene hinaus zu einer Diskussion um das Büro der Zukunft geführt.

Von Joachim Schirrmacher

Stets zu Diensten, überall erreichbar, immer aktiv und flexibel, so wünschen sich viele Unternehmen ihre Mitarbeiter. Doch während sie von den Angestellten immer mehr verlangen, wollen die Unternehmen weiter sparen. Derzeit sind deshalb flexible Großraumbüros im Trend, in denen sich mehrere Mitarbeiter einen Arbeitsplatz teilen. Solche Open-Space-Büros bieten ein hohes Mass an Flexibilität und Kommunikationsmöglichkeiten und helfen durch Verdichtung Kosten und Energie sparen.

Je kleiner, je besser

Diese vermehrt nach Gesichtspunkten der Rendite organisierten Büros haben im Vorfeld der Fachmesse für Büroeinrichtungen, Orgatec, die noch bis zum 30. Oktober in Köln stattfindet, zu einer Diskussion geführt. Angefacht wird sie durch neue Lebensgewohnheiten und Technologien, reflektiert in Büchern wie „Morgen komm ich später rein“, „Mobil, flexibel, immer erreichbar“ und ein Vitra-Symposium. Anlass für das Symposium ist eine Studie der Hochschule Luzern, welche die Arbeitsbedingungen in Büros untersucht, sie wurde von Vitra mitfinanziert. Die 142 Seiten lassen sich zuspitzen: je kleiner das Büro, desto besser gefällt es den Menschen.

Design statt Styling

Das Prinzip des Sparens, das derzeit wie ein Mantra die Debatten um neue Arbeitsformen beherrscht, zeugt von einer defensiven Haltung. Dabei brauchen wir in unseren Hochlohnländern die Offensive, um uns in einem zunehmend globalen Wettbewerb zu behaupten. Bei aller Beschwörung der Innovation geht es bei der Diskussion um neue Arbeitsformen zu sehr um die Verwaltung des Vorhandenen und zuwenig um die Erreichung des Neuen. Es geht zu oft um neue Stühle und neuester Technologie und zu wenig um ein neues Denken, das mehr als Selbstzweck ist. Wer meint, dies hätte wenig mit Design zu tun, sei an Lucius Burckhardts „Design ist unsichtbar“ erinnert. Der Soziologe und Design-Spezialist Burckhardt vertrat die Auffassung, dass hinter den sichtbaren Objekten eine unsichtbare soziale Dimension existiert, die mitgestaltet werden muss, ja oft grundlegend ist, um eine Entwurfsaufgabe adäquat zu lösen.

Effektiv statt Effizient

Wer die Arbeit der Zukunft in ihren Zusammenhängen und Zielsetzungen wahrnimmt, kommt schnell zur Folgerung, dass wir in unserer Arbeitswelt nicht nur schön gestaltete Flexibilität, sondern auch die Möglichkeit zur Konzentration, zur Identifikation oder zur Entwicklung kreativer oder künstlerischer Strategien brauchen. „Wenn 80 Prozent aller Ausgaben Lohnkosten sind, ist es da nicht klüger zu überlegen, wie ich die Potenziale des Mitarbeiters am besten anrege, als bei den Bürokosten zu sparen?“, fragte denn auch Martin Wagen vom Zürcher Technologieunternehmen Spectraseis auf dem jüngst von Vitra in Weil am Rhein veranstalteten Symposium: „Grossraumbüro – kann der Spagat zwischen Unternehmenszielen und Mitarbeiterinteressen gelingen?“

Nicht schneller, sondern besser

Die heutige Technik scheint den festen Arbeitsplatz mehr und mehr überflüssig zu machen. Das Motto der modernen Nomaden lautet: Wo du bist, ist auch dein Büro. Doch wo denken jene «Super-Mobilen», die mitunter weniger als zwei Tage pro Woche im Büro sind, die Dinge zu Ende? Selbst jene, die als «Resident People» täglich ins Büro gehen, haben es dort schwer, sich zu konzentrieren. Lärm und Unterbrechungen führen schon bei Standardarbeiten zu Ablenkung und Ineffizienz. Dies belegt eine Studie der Hochschule Luzern, welche die Arbeitsbedingungen in Schweizer Büros untersuchte. Wann und wo kann da das Neue entstehen? Joey Reiman, Gründer der US-Unternehmensberatung Brighthouse, brachte das Problem schon vor zehn Jahren auf den Punkt: „Aufgrund von Globalisierung und Digitalisierung ist jeder immer schneller geworden. Für alltägliche Probleme ist das gut. Aber grosse Probleme kann man mit Geschwindigkeit nicht knacken. Es geht nicht darum, es schneller zu machen, sondern besser. Und das heisst in Fragen der Innovation: langsamer.“

Ruhe und Relevanz

Wo kommen wir wieder zur Besinnung? Wo finden wir Zeit und Musse für scheinbar absichtsloses Sinnieren – sei es allein oder im Team? Sogenannte Denkzellen in den Open-Space-Büros mögen reichen, um einen Brief zu schreiben, aber nicht, um nachzudenken. Gabriele Fischer vom Wirtschaftsmagazin „Brandeins“ hat mit modernen Bürokonzepten gearbeitet, sie aber schnell wieder verworfen. Ihre Erfahrung lautet: „Die hohe Konzentration, die erforderlich ist, ist mit festen Orten besser herzustellen.“ Lange Artikel schreibt sie trotz Einzelbüro zu Hause, „weil ich mich hier noch einmal anders vertiefen und vor mich hindenken kann“. Der niederländische Designer Jurgen Bey schlägt als Zukunftsvision gar einen faradayschen Käfig vor, damit die Menschen wieder zur Konzentration finden.

Kulturelle Kompetenz

Ein zweiter Aspekt fehlt in vielen Diskussion über die Arbeitswelten der Zukunft: Was wir in Zeiten billiger Massengüter aus Asien der Welt noch verkaufen können, wurzelt vor allem in unserer kulturellen Kompetenz. Also vornehmlich in dem, was seit einigen Jahren unter dem Stichwort „Creative Industries“ diskutiert wird – wozu einige Autoren der Kultur- und Kreativwirtschaft auch die Wissenschaften zählen. Doch diese Wissensarbeiter blühen meist nur im individuellen Büro auf. Dies lässt sich gut bei Schriftstellern beobachten, die fast ausschliesslich unter bestimmten Bedingungen ihrem inneren Wähnen Form geben können.

So individuell wie die Persönlichkeiten

Die Fotografin Herlinde Koelbl präsentiert in ihrem Buch „Im Schreiben zu Haus“ 42 Schreibräume: von Jurek Beckers penibler Ordnung bis zu Friederike Mayröckers überbordendem Chaos. Von der Kneipe (Sten Nadolny) übers Atelier (Robert Gernhardt) und der kleinen Dichterkammer (Thomas Brussig), bis zur spartanischen (Robert Menasse) oder bürgerlichen Arbeitswohnung (Hans Magnus Enzensberger). Der eine schreibt mit Füllerfeder (Günter Grass), die andere mit billigem Kugelschreiber (Herta Müller) oder Computer (Ruth Klüger). Und Robert Schneider muss jeden Morgen zwei Stunden Musik hören um die Tonart des Textes zu finden. Der „Ort der Quälerei und des grössten Glücks“ (Johannes Mario Simmel) ist demnach so individuell, wie es die Persönlichkeiten sind.

Optionen für Grundbedürfnisse

Die türkisch-englische Designerin Sevil Peach, die auch die Büros von Vitra einrichtet, will Optionen bieten: „Einen Ort, der berücksichtigt, dass jeder seine Aufgaben auf eine andere Art und Weise erledigt, und den Mitarbeitern die Freiheit gibt, Arbeitsplatz und Mittel so auszuwählen, wie sie am besten ihrer Persönlichkeit, Stimmung und Art der Tätigkeit gerecht werden.“ Es gibt offenbar ein menschliches Grundbedürfnis nach Privatsphäre, nach Rückzug zu Konzentration, Kommunikation und Kontemplation – auch wenn dies in den Ohren einiger Betriebswirte nicht nach Arbeit klingt.

Büro als Heimat

Schon vor zehn Jahren sagte der Chairman von Vitra, Chef Rolf Fehlbaum, dass wir heute das Büro deshalb ganz besonders brauchen, weil so viele andere schützende und identitätsstiftende Konzepte ihre Kraft verloren haben. Dass ein wesentliches Motiv zu arbeiten die Sinngebung und die Dazugehörigkeit zu einer sozialen Gemeinschaft sind, wird von Ökonomen ebenfalls oft vergessen.
Diese Suche nach Zugehörigkeit hat seit Fehlbaums Aussage ebenso zugenommen, wie die Sehnsucht nach Individualität. Diese Dualität – oder präziser dieses Oxymoron – der Motor der Mode – ist ausschlaggebend für die derzeitige Dynamik der Diskussion. Es gibt bei Büros also nicht die Lösung, sondern höchsten sehr viele ähnliche.

Go home!

Holge Haage von der Deutschen Bank verantwortet beim Umbau der Zentrale – den Zwillingstürmen „Soll“ und „Haben“ in Frankfurt – eine Revolution: Alle prestigeträchtigen Eckbüros müssen Gemeinschaftsflächen, das Gros der Einzelbüros flexiblen Grossräumen weichen. Gefragt, wie er mit dem Bedürfnis der Menschen nach Privatsphäre umgeht, versteht er darunter das Aufhängen des „Bilds von der Großmutter“ und sagt jenen, die sich danach sehnen: „Go home“. Er meint: Wer nicht nach den Regeln der Deutschen Bank spielt, soll zu Hause bleiben. Als ob Menschen Roboter wären.

Bindungen stärken

Dabei gibt es viele Möglichkeiten, den Mitarbeitern ein beständiges Umfeld zu bieten. Sei es durch Rituale die Bindungen stärken, wie einer täglichen gemeinsamen Kaffeestunde oder die wöchentliche Rudertour auf dem Zürichsee; kleine Gruppen von acht bis zwölf Personen, die sich selbst organisieren, oder eine mehrfache Kopplung an das Unternehmen, wie es McKinsey seinen Beratern bietet: dem Büro als Heimatbasis, seiner „Peer Group“ und seinen Branchenkollegen.
Heimat, dass ist im übertragenen Sinne auch das Unternehmen als Institution. Doch nur wenige Unternehmen verstehen sich noch als „Familie“. Die Loyalität schwindet auf beiden Seiten: „Warum soll ich mich für einen Laden engagieren, der sich nicht für mich engagiert?“

Literatur

Markus Albers: „Morgen komm ich später rein“, Campus Verlag, 239 Seiten, 18,90 Euro

Uta Brandes: „Citizen Office – Ideen und Notizen zu einer neuen Bürowelt“, Steidl Verlag 1994, 128 Seiten

Lucius Burckhardt: „Design ist unsichtbar“, Cantz Verlag 1995, 240 Seiten

Hochschule Luzern (Peter Schwehr, Sibylla Amstutz): „Schweizerische Befragung in Büros

Stephan A. Jansen: „Oszillodox: Virtualisierung – Die permanente Neuerfindung der Organisation“ Klett-Cotta Stuttgart, 2000, 391 Seiten

Herlinde Koelbl: „Im Schreiben zu Haus“ Knesebeck Verlag, 257 Seiten, 89,90 Euro

Gudrun Sonnenberg: „Homeoffice, Laden, Bürogemeinschaft?“, DIHK, 86 Seiten, 10,00 Euro

Claas Triebel: „Mobil, flexibel, immer erreichbar“, Artemis & Winkler Verlag, 180 Seiten, 16,90 Euro

Veröffentlicht
Zuerst erschienen in leicht gekürzter Form:
Neues Denken statt neuer Stühle, Neue Züricher Zeitung – Feuilleton, 29. Oktober 2010, Seite 18

Kategorie: Design - Kommentare(3)
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Kommentare(3)
  • 1. Perlentaucher:

    Joachim Schirrmacher hat auf einem Vitra-Symposium zu Bürodesign gelernt, warum es sinnvoller ist, Mitarbeiterpotenziale in angenehm gestalteten Räumen anzuregen als an den Stuhlkosten zu sparen.

  • 2. Spiegel Online:

    Joachim Schirrmacher hat auf einem Vitra-Symposium zu Bürodesign gelernt, warum es sinnvoller ist, Mitarbeiterpotenziale in angenehm gestalteten …

  • 3. Christian Sauer:

    Aus Koelbls Buch habe ich auch reichlich für mein Buch „Souverän schreiben“ zitiert. Der Beitrag ist ganz Joachim Schirrmacher in dem Sinne, dass Bericht und Analyse munter, klug und bereichernd verschränkt sind. Schön!

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