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Ludwig Reiter
12. Mai 2012

Viel hat sich im Laufe der Jahrhunderte in Süßenbrunn nicht verändert.

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Ludwig Reiter, Traditionshersteller von Massschuhen, ist in einen Gutshof umgezogen. Das passt zu Image und Stil

Von Joachim Schirrmacher

Schloss Süßenbrunn lautet die neue Adresse der Schuhmanufaktur Ludwig Reiter im äußersten Nordosten des Wiener Stadtbezirks. Eine Adresse, die viele Assoziationen hervorruft. So mancher Journalist, der die neue Produktionsstätte besucht, verfällt ins romantische Schwärmen von guten alten Zeiten. Schon das Wort Manufaktur weckt Erwartungen, die wenig mit der Realität eines Betriebs, der täglich Geld verdienen muss, zu tun haben.

Kunden suchen Substanz
Luxus funktioniert heute über solche Assoziationen: Jedes Wort erzeugt Bilder, jedes Bild wiederum Gefühle. Individualität, Handwerk, Tradition, Produkte mit Ewigkeitscharakter, minimale Stückzahlen, die Suche nach Substanz und raffinierter Sinnlichkeit heissen derzeit die Schlüsselbegriffe für das oberste Luxussegment. Da passt eine Schuhwerkstatt in einem Schloss perfekt ins Bild, auch wenn das Schloss ein Gutshof ist. Das Magazin „Bilanz“ schreibt über Ludwig Reiter: „Diese Marken hat alle Voraussetzungen, zu den Stars der Branche aufzuschliessen und eines Tages der nächste Hermès zu werden“.

Einfach aber nicht primitiv
Doch die Familie Reiter will bodenständig bleiben. Die letzten zehn Prozent Perfektion, die für eine Spitzenpositionierung notwendig wären, würden die Kosten um 50 Prozent nach oben treiben, ohne dass der Kunde mehr als einen Prestigevorteil hätte. Till Reiter nutzt daher auch keine Bilder, bei denen alte Männer mit der Ahle in der Hand an einem Schuh nähen. „Jeder weiss, das kann so nicht sein“, sagt Reiter. Stattdessen stellt er das Unternehmen dar, wie es ist und den eigenen Fähigkeiten entspricht. Als eines von wenigen Unternehmen hat Ludwig Reiter die Produktion nicht in Billiglohnländer verlagert, sondern immer in Wien produziert. Im Standort sieht Reiter einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die Qualität der Produkte und für die internationale Vermarktung. Die neue Betriebsstätte ist daher auch keine Show-Produktion und kein Freilichtmuseum, sondern eine authentische Schuhmanufaktur.

Vom Gutshof zur Manufaktur
Schloss Süßenbrunn war im Mittelalter ein Rittergut, wurde im 16. Jahrhundert zu einem Renaissance Schloss ausgebaut und 1830 im Stil der Frühromantik umgestaltet. Bis in die 1970er Jahre wurde der Gutshof als landwirtschaftlicher Betrieb geführt. In den geräumigen Pferdeställen findet seit Mai 2011 die Schuhproduktion statt. Das Verwalterhaus wurde zum Büro, der 400 Jahre alte Getreidespeicher dient jetzt als Depot, in der Meierei werden handgearbeitete Taschen und Koffer gefertigt, und der ehemalige Taubenschlag bietet Platz für die Schlosserei, wo die bis hundert Jahre alten Maschinen gewartet werden. Neu gebaut wurden Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden, sie dienen zugleich als Materiallager. Auf den Winter hin wurden die Fassaden verputz, fertig ist die Anlage noch lange nicht. Der Garten des drei Hektar großen Geländes soll in Stand gesetzt und das schlichte Schloss renoviert werden. Dereinst sollen hier die Verwaltung einziehen, Schau- und Verkaufsräume eingerichtet und das Gebäude für Veranstaltungen genutzt werden.

Entscheidend ist die Erfahrung
Beim Rundgang mit Till Reiter überrascht, wie schlicht und sachlich alles eingerichtet ist. In den langen Stallungen sind links und rechts vom Mittelgang die Tische für die 40 Mitarbeiter in der Produktion angeordnet. Dazwischen Wagen mit Materialien und halbfertigen Schuhen. Fast alle Arbeitsgeräte sind alt, teilweise 100 Jahre; Reiter kennt sie im Detail. Jeder der rund 300 Arbeitsschritte hat einen Sinn, jedes Teil erfüllt eine Funktion. Immer geht es um Gefühl und Erfahrung und nicht um die Eingabe einer Zahl in eine Maschine. Jede Station ist Ergebnis eines sorgfältigen Abwägens von Aufwand und Ertrag. So wird eine computergesteuerte Lederstanze nur für einfache Qualitäten eingesetzt. Zwischen all den werdenden Schuhen steht ein Wagen mit getragenen, die hier neu besohlt werden sollen. Deutlich sichtbar ist, welcher Kunde seine Schuhe immer auf Schuhspanner gezogen hat und wer nicht; die kleine Mühe lohnt augenscheinlich sehr. „Wir sind eine echte Manufaktur, wo jeder einzelne Arbeitschritt nach den Regeln der Kunst von mehreren Leute ausgeführt wird“, sagt Reiter. Ziel aller Mühen ist, die beste Balance zwischen Tragekomfort und Haltbarkeit zu erreichen.

Millionen-Investitionen
Zur nüchternen Atmosphäre tragen auch die vorgeschriebenen Maßnahmen für den Brand- und Arbeitsschutz bei. Beispielsweise musste in allen Arbeitsräumen eine mechanische Be- und Entlüftung gegen den Feinstaub eingebaut werden. Das hat zur Folge, dass im Sommer das an sich angenehm kühle Gewölbe mit warmer Luft von außen aufgeheizt wird. Die Behörde empfiehlt dagegen eine Klimaanlage. Maßnahmen, die letztlich die Preise für die Schuhe in die Höhe treiben. Die Investitionen von acht Millionen Euro für Erwerb, Sanierung und Einrichtung der 5000 Quadratmeter Nutzfläche sind hingegen niedriger, als wenn ein Industriegebäude auf der grünen Wiese neu erstellt worden wäre; auch wenn ein Neubau effizientere Arbeitsabläufe ermöglicht hätte.

Reell, geistreich und lustvoll
Gute Produkte stellen auch andere Schuhfabrikanten her. Doch nur wenige nutzen so überzeugend wie Ludwig Reiter die Möglichkeiten der Kommunikation. Sie ist mit ihren Zitaten und Andeutungen geistreich und lustvoll, mit Neugier für Neues und Respekt vor dem Alten. Sie setzt auf Persönlichkeit statt auf sterile Perfektion; ganz so wie die wahren Luxushotels heute wie Villen gut situierter Freunde daherkommen statt als perfekte Inszenierungen. Der Meister des Understatements weiß, wie wichtig das Erzählen von Geschichten ist. Was er denn auch wunderbar mit Witz und Ironie tut.
Und so ist Till Reiter neben aller Funktion die emotionale Bedeutung des neuen Betriebsgebäudes bewusst. „Schloss Süßenbrunn hilft uns, den Einzelhändlern und Kunden die Welt von Ludwig Reiter nahezubringen“, sagt er, „es gehört zum Kern unserer Firmenkultur, den Verbraucher an den Erzeuger zurückzuführen. Der Käufer soll wissen, woher die Ware kommt“.

Zurück nach vorn
Trotz den historischen Gebäuden ist Ludwig Reiter der modernste unter den traditionellen Schuhmanufakturen. Till Reiters Urgroßvater Ludwig Reiter begann 1885 Maßschuhe in der Wiener/Budapester Schuhmacherkunst zu fertigen. Sein Großvater brachte die maschinelle Goodyear-Fertigung aus Amerika mit und gründete nach dem Ersten Weltkrieg die Manufaktur. Sein Vater setzte auf hochwertige Gesundheitsschuhe unter dem Markennamen „Medana“ und sicherte so das Überleben; in den 1960er Jahren war Tradition kein Argument, der Zeitgeist suchte damals die Zukunft.
Als Till Reiter Mitte der achtziger Jahre die Verantwortung für das Unternehmen übernahm, waren nicht nur die Modelle, sondern auch die Kunden alt geworden, das Unternehmen schlingerte. Till Reiter brachte von seinen Lehr- und Wanderjahren frischen Sauerstoff aus Amerika mit. Zum Dresscode der Yuppies, dort gerade en Vogue, gehörten rahmengenähte Schuhe. Diese Beobachtung gab Reiter die Anregung wie eine Manufaktur durch Kommunikation zur Marke wird und doch auf das Produkt fokussiert bleibt. Und sie gab dem Volkswirt den Optimismus, gegen den Rat der Banken beim Wiener Leisten zu bleiben.

Maschinen von 1913
Überzeugt hat ihn die Funktion. Nur rahmengenähte Schuhe, versichert Reiter, können den Widerspruch bewältigen Komfort und Dauerhaftigkeit zu vereinen. Zurück in Europa, schuf er das heutige Unternehmen aus alten Musterbüchern, der Bibliothek der Leisten, über 200 stillgelegten, aber funktionstüchtigen Zweinadel-Ledersteppmaschinen (die älteste von 1913) sowie dem geerbten Gefühl für Leder gänzlich neu. Seine Frau Barbara, die an der Universität für Angewandte Kunst bei Jil Sander Modedesign studiert hat, war für die neue Produktsprache verantwortlich. „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Bewahrung des Feuers“, zitiert Reiter den Komponisten Gustav Mahler.

Ludwig Reiter
Die Wiener Manufaktur Ludwig Reiter stellt seit 1885 Maßschuhe und andere Lederwaren her. Heute ist das Familienunternehmen mit 17 eigenen Geschäften in aller Welt vertreten, wo Herren- und Damenschuhe, Taschen, Gürtel und Accessoires verkauft werden. Dazu werden 200 Fachgeschäfte in Europa, Asien und den USA beliefert. www.ludwig-reiter.com

Veröffentlicht
„Schuster, Sattler und auch Schlossherr“, NZZ am Sonntag, 19. Februar 2012, Seiten 6 – 8
Wiener Leisten“, Tagesspiegel, 12. Mai 2012

Kategorie: - Städte, Mode, Redaktion, Unternehmen - Kommentare(0)
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