6. Oktober 2018
Ob Belgien, Deutschland, Hongkong, Japan, Korea, Namibia, Schweden oder die USA: Paris quillt geradezu über von Initiativen, die ihren Nachwuchs präsentieren. Der British Fashion Council zeigt hier schon seit 2008 die „London Show Rooms“ (finanziert u.a. mit EU-Geldern). Wer diese Showrooms besucht, dem bricht das Herz: Mit großen Augen schauen einen all die jungen Designer voller Hoffnungen an. Zwar kommen wichtige Entscheider, wie Antonio Cristaudo der für die Männermodemesse Pitti Uomo nach Talenten Ausschau hält. Doch nur für wenige, sehr wenige wird der Traum in Erfüllung gehen.
Denn an allen Ecken werden weitere junge Designer präsentiert. Allein im Palais de Tokyo gab es mit dem „Designer Appartment“ und eine Tür weiter bei der Konferenz „Culture(s) de Mode“ über 20 junge Designer, die voller Hoffnungen sind. Dazu kommen Installationen in den Lobbys großer Hotels wie dem W Opera oder dem Westin. Doch keiner hat Zeit, allein all die Namen auf den zahlreichen Einladungen zu recherchieren. Selbst das Schöne der Talentiertesten geht in der Masse unter. Wer kennt Marine Serre (LVMH-Preis 2017), Antonin Tron (Andam-Preis 2018) oder Anthony Vaccarello? Yves Saint Laurent, dessen Creative Director Vaccarello ist, kennt jeder.
Deutschland macht sich selber Konkurrenz
Mitten in diesem Haifischbecken versuchen die Deutschen seit sechs Jahren Fuß zu fassen, jetzt zum dritten Mal gemeinsam mit Österreich und der Schweiz. 179 Besucher kamen in den fünf Tagen in den „DACH-Showroom“ im Marais, davon 102 Einkäufer. Dabei macht sich Deutschland selber Konkurrenz, der Lobbyverband German Fashion Council macht sein eigenes Ding, vertritt aber damit, entgegen seinem eigenen Anspruch, längst nicht die ganze Branche. Der „GFC“ präsentiert die von ihm geförderten Labels Horror Vacui, Steinrohner und William Fan im 8-tägigen Showroom von Rainbowwave, nahe den Galeries Lafayette.
„Keiner hat Zeit, da helfen etablierte Netzwerke wie Rainbowwave, das gibt einen Vertrauensvorschuss“, sagt Fan bei unserem Besuch. Er zeigte sich sehr zufrieden: „Es waren schon Kunden aus den USA und Russland da“. Das Gespräch endet, als sich vier junge Einkäufer vorstellen: „Hello, we are from Bejing“.
Schweden will Weltmarktführer werden
Die Schweden gehen die Nachwuchsförderung strukturiert an. „Wir haben einen anderen Ansatz als der German Fashion Council“, sagt Jennie Rosén, Geschäftsführerin des Schwedischen Fashion Council am Rande des Empfangs im schwedischen Kulturinstitut. „So, wie Nokia die finnische Kultur vorangebracht hat, so bauen wir auf das Basis auf, die Hennes & Mauritz geschaffen hat“. In der Tat erwirtschaftet H&M laut Rosén 55 Prozent des Gesamtumsatzes von 326 Milliarden SEK im Jahr 2017. Die Modebranche verzeichnet seit 7 Jahren in Folge ein Wachstum, der Export ist seit 2010 um fast 90% gestiegen. Die Mode ist damit eine der am schnellsten wachsenden Exportindustrien in Schweden. Und Botschafterin Veronika Wand-Danielsson macht eine Ansage: „Schweden will Weltmarktführer werden in nachhaltiger Mode und Technologie.“ Es geht also.
Der wichtigste Meilenstein meines Lebens
Das zeigt auch die international bislang erfolgreichste Nachwuchsförderung, der „Swiss Textile Award“, den beispielsweise Raf Simons (2003), Haider Ackermann (2004) oder Christian Wijnants (2005) gewannen, bevor der Preis eingestellt wurde. Alle drei zeigen, dass konsequent gutes Design in einer übersättigten Branche seinen Platz findet. Christian Wijnants präsentierte in der Pariser Börse eine Traumreise entlang der Seidenstraße: übergroße Hosen, Hemden und weiten Röcke – in kräftigem Blau, Hellgrün und Pink sowie den für Wijnants typischen Drucken.
Aktuell gehört der „International Woolmark Prize“ zu den wichtigsten Auszeichnungen, den der Inder Rahul Mishra gewann: „Das war der wichtigste Meilenstein meines Lebens. Das damit verbundene Vertrauen hat mir ermöglicht, meine internationale Karriere zu starten“, sagt Mishra kurz vor dem Beginn seiner Schau backstage. Im Mittelpunkt seiner luxuriösen Kollektionen steht die traditionelle indische Handwerkskunst mit kostbaren Stickereien und handgewebten Stoffen. Die Stickereien seiner Prêt-à-porter sind so fein, dass sie dem Couture-Standard entsprechen (seine Couture Linie präsentiert er in Indien). Mishra hat sich nicht nur einen Namen gemacht, seine Arbeit ist Entwicklungshilfe für die Familien in den Dörfern seiner Heimat, die rund 70 Prozent des Umsatzes erhalten.
Joachim Schirrmacher
Veröffentlicht
Zuerst erschienen (leicht gekürzt): Der Tagesspiegel, 6. Oktober 2018, S. 25