15. Juli 2020
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Wie sieht die Mode der Zukunft aus? In einem Projekt von 10 weltweit führenden Modefachzeitschriften beantwortet Joachim Schirrmacher die Fragen für Deutschland im Sommer-Interview mit Iris Schlomski, Chefredakteurin von Textile Network
textile network: Wie steht es um den Luxus in Deutschland?
Joachim Schirrmacher: Deutschland ist ein bedeutender Markt für Luxusgüter, auch wenn er hier weniger zelebriert wird und eher clean als „Murkudis Luxus“ erscheint. Mercedes, Miele, Rimowa oder A. Lange & Söhne gelten zwar international als Luxusgüter, stehen hierzulande aber eher für Solidität. Luxus in Deutschland das ist eben kein Bling Bling; er steht für Nachhaltigkeit und Langlebigkeit. Zudem beruht Deutschlands Stärke und Stabilität in der breiten Mittelklasse und seiner kulturellen Vielfalt. Aufgrund unserer Geschichte sehen wir Eliten skeptisch. Also Werte die sehr zeitgemäß sind. Und seitdem Luxuskonzerne zunehmend dem Modell der Fast-Fashion Anbieter folgen, steht das Konzept eh in Frage.
Welche Rolle spielen deutsche Modedesigner?
An der Spitze stehen vor allem Nischenprodukte wie Acronym, Iris von Arnim, Diehm Bespoke, GmbH, Horror Vacui, Mykita, Odeeh, Nobi Talai oder 032c. Zudem arbeiten in fast jedem internationalen Modehaus deutsche Designer. Oft sogar in Führungspositionen.
Stationäre Läden machen das Gro der Umsätze, dennoch boomen Online-Shops. Welche Namen sind hier wichtig?
Zalando und Highsnobiety aus Berlin, Mytheresa aus München und die Otto Group mit seinen über 100 Unternehmen wie About You. Otto gilt als der weltweit zweitgrößte Onlinehändler. Otto gilt zwar als weniger cool, hat aber im Gegensatz zu Amazon oder Zalando fast immer Geld verdient. Zudem gibt es zahlreiche neue Online-Shops gerade für Fair Fashion wie z.B. thewearness. Ihnen bietet jetzt die ehemaligen Zalando-Mitarbeiterin Melanie Bauer von Melagence freie Unterstützung an.
Interessant ist ja auch, dass vor Corona fast nur noch der Online-Handel im Fokus stand. Als nun die stationären Läden geschlossen bleiben mussten, wurde plötzlich wieder deren enormer Umsatz bewusst.
Wie hat sich das Geschäft seit Corona entwickelt?
Es ist insgesamt verhalten wieder angelaufen. Familienunternehmen scheinen hier mit ihrer Flexibilität, Kundennähe und Bodenständigkeit im Vorteil gegenüber den Konzernen zu sein.
In Deutschland war es ja auch während des Lookdowns immer möglich, Individualsport zu betreiben. Die Umsätze haben sich gerade bei Lauf- und Wanderschuhen, Outdoor oder rund um Skate- und Surfboards laut Umfragen von ispo.com ordentlich bis zufriedenstellend entwickelt. Die Fahrradhändler erleben sogar eine Sonderkonjunktur. Das war bei anderen Krisen wie 2008 übrigens auch schon so, weil die Leute Sport machten um sich als Handlungsfähig zu erleben.
Wird Sports- und Streetwear als auch Performancewear weiter wachsen?
Deutschland ist einer der stärksten Sport- und Sportswearmärkte. Beide Bereiche haben seit Jahrzehnten eine starke kommerzielle Basis in Deutschland und nehmen weiter zu. Das sieht man schon an den Konzernen Adidas und Puma. Aber auch an den weltweit führenden Messen. Für den Sport die Ispo und Outdoor, früher für Jeans und Streetwear mit der Interjeans in Köln und dann die Bread and Butter.
Warum ist Sportswear so wichtig?
Sportlichkeit steht hoch im Kurs im Kampf um Jobs, Partner und Status. Der gestählte Körper ist zum wichtigsten Modestatement in unserer überalterten Gesellschaft geworden. Unternehmen wollen mit einem Dresscode „smart-casual“ als ein attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden. Und selbst bei den Rentnern gilt: Rolling Stones statt Kurkonzert, Acne statt Brax.
Durch die Corona-Krise gewinnt Gesundheit und Körperlichkeit noch mehr an Bedeutung. Jede Form der Mode muss sich dieser neuen Freiheit annähern. Daher hatten wir die Dominanz der Sneaker, daher die Jerseysakkos. Das heißt aber nicht, dass sich jetzt alle nur noch in Jogginghosen kleiden. Im Gegenteil: die Menschen wollen mit Lust leben, sich an der Kraft der Schönheit erfreuen.
„We want to dance“ nennt es Li Edelkoort. Es gab schon vor der Pandemie eine Sehnsucht sich wieder chic zu machen. Der „Ugly Chic“ von gehypten Labels wie Vetements hat seinen Zenit überschritten. Wer heute einen Anzug trägt, dann leger – wie zum Beispiel Nicolas Bos vom Juwelierhaus Van Cleef & Arpels – und weil er Freude daran hat, nicht weil er es muss. Wir reden zwar immer über die Globalisierung der Trends, aber hier in Berlin gibt es in jedem Stadtteil einen anderen Look. Das Leben ist heute viel vielfältiger als es viele Modemedien und Marken berücksichtigen.
Ein Projekt von David Shah, „Textile View“, mit Textilia (Brazil), China Textile (China), Fashion Network (France), Textile Network (Germany), Rtm Magazine (India), Zoom On Fashion Trends (Italy), Senken Shimbun (Japan), Profashion (Russia), Twist WTiN (United Kingdom) und Sofia Celeste (USA).