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Berlin Fashion Week, Tag 3
22. Januar 2010

Renè Lezard hat nach dem Weggang der Designer Jörg Ehrlich und Otto Drögsler und einer neuen Geschäftsleitung noch nicht wieder ganz Tritt gefasst, wie CEO Heinz Hackl offen zugibt. Um so mehr freue ich mich über die Einladung zur einem Frühstück in einer riesigen Loft-Wohnung. Ich finde, dass passt zum alten Motto „Gelassenheit mit Stil“. Obwohl viele Journalisten da sind (das ich die Schaukel nicht nur als Dekoration ansah, war für die Fotografen und dem TV-Team der Deutschen Welle natürlich ein gefundenes Fressen) bleibt etwas Zeit für den Austausch mit Hackl. Wir wollen ihn bei Gelegenheit in Hamburg fortführen.

Der Revolutionär der Jeans

Gestärkt geht es ein zweites Mal zur Bread & Butter um die restlichen Hallen zu besuchen. Es gibt sehr viele schöne Kleidung – aber nur wenige Themen fallen wirklich ins Auge. Am wichtigsten ist sicher eine neue Erfindung von François Girbaud. Er hat vor 40 Jahren das Stonewashverfahren für Jeans erfunden. Doch das braucht 700 Liter  Wasser – pro Jeans. Nun erzielt er ähnliche Effekte per Laser – das braucht nur noch 5 Liter pro Jeans. Wir treffen ihn am Stand im Gespräch mit Bruno Collin. Über die Berufung des Chefs vom WAD magazine hatten wir vorgestern ja lange diskutiert. Heute ist Zeit ihm zu gratulieren.

Wolfgang Joop macht Sportswear!?

Es bleibt noch Zeit für ein zweiten Besuch auf der Messe Premium. Ich mache dies ganz gerne um ein besseres Gesamtbild zu erhalten. Und tatsächlich: Es gibt Neues. Die größte Überraschung der Fashion Week: der wichtigste in Deutschland lebende Mode-Designer, Wolfgang Joop, präsentierte gestern, fast unbemerkt, eine Sportswear-Linie unter dem Namen „30-06 by Wolfgang Joop“ in Kooperation mit dem Berliner Sport- und Jagdmodespezialisten Rascher. Mich wundert dies sehr, denn Joop ist ein Ausgefuchstes Marketinggenie. Was mag das bedeuten?

Handwerk trifft High-tech

Bei einem Kaffee werde ich durch einen Fleyer aufmerksam auf das vielfach ausgezeichnete Label Trikoton von Magdalena Kohler (Modedesign) und Hanna-L. Wiesener (Interaktionsdesign). Es ist ein Beispiel für das Ausloten zukünftiger Produktionsprozesse. Entstanden ist Trikoton im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ der Universität der Künste Berlin. Ziel waren Strategien für postindustrielle Standorte. Ich war in der Projektleitung für das Design-Management verantwortlich. Auf trikoton.com spricht der Kunde seine Botschaft in eine spezielle entwickelte Software, welche die Stimmfrequenzen in ein passendes Strickmuster für das ausgewählte Produkt umrechnet und dann automatisch auf einen Server lädt. Gefertigt wird das Unikat dann von der Firma Strick Chic in Apolda. Noch spannender als die binäre Ästhetik, die Anleihen bei traditionellen Lochkartenmustern nimmt, ist der Prozess der Mass Customization. Kleinstserien in Deutschland kostengünstig herzustellen, wird immer wichtiger. Doch bislang galten bei Strickwaren 500 Stück als Kleinserie. Trikoton zeigt, wie wichtig die Auseinandersetzung der Designer mit den Handwerkern ist um Produkte zu entwickeln, die sich unterscheiden, Produkte mit Seele. Und es zeigt wie wichtig es ist, gestalterische und technische Kreativität zu verbinden. Trikton wurde daher nicht nur auf der ersten Fashion Week Berlin am Brandenburger Tor gezeigt, auf der Ars Electronica in Linz oder der Design Week in London präsentiert. Trikoton konnte auch dank der Hilfe des Carrer Centers der UDK und eines Coachs ein Existenzgründer Stipendium des Bundeswirtschaftsministeriums erhalten, was bedeutet das sowohl Sachmittel als auch 3 Personen für ein Jahr finanziert werden. Es freut mich natürlich sehr, wenn eine gute Idee einen so guten Lauf nimmt.

Erfolg der beflügelt

Hier im recht versteckt liegenden ersten Stock treffe ich auch Batmunkh Bataa wieder. Sie gewann 2007 den European Fashion Award FASH. Das Institut für Auslandsbeziehungen hat einen Bericht veröffentlicht warum sie aus der Mongolei nach Deutschland zum Studium gekommen ist. Nun präsentiert sie ihre leichte Kleidung mit geringem Packmaß für ein mobiles Arbeitsleben. Obwohl es mir eine ziemliche Überwindung gekostet hat mich nach dem Kaffee noch einmal aufzumachen, beflügelen mich diese Erfolge der jungen Designer.

Bilder die bleiben

Dann fahre ich zur Eröffnung der ersten Werkschau des Fotografens Andreas Mühe in der renommierten Galerie Camera Work (bis 6. März). Ich bin zehn Minuten zu früh und der erste Gast. Genügend Zeit die Bilder in Ruhe anzusehen. Ich kenne sein Werk nicht. Es beeindruckt mich sofort. Es sind keine flüchtigen Fotos, sondern Bilder die bleiben. Sie beruhigen mich, wohl auch weil Mühe reduziert und präzise mit Licht und Farbe arbeitet. Hinzu kommt die Dichte und Konzentration durch die Arbeit mit einer Großbildkamera, wie ich dem kurzen Text im Katalog entnehme.

Die Personen die Mühe porträtiert, wie Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, Michail Gorbatschow und George Busch Senior zum 20. Jahrestag des Mauerfalls oder das er als einziger das Privathaus unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel fotografieren darf, sind ein kraftvoller Akzent.

Doch mir gefällt vor allem die Ruhe, die diese Bilder ausstrahlen. Mir gefällt der Gedanke, der Flüchtigkeit der Mode durch Mühes Blick Beständigkeit zu verleihen. Natürlich nicht um belanglosen Massengütern Relevanz zu geben, sondern um die Qualitäten der besten Entwürfe festzuhalten.

Eine kaum beachtete Provokation

Ich bin nicht der Erste, der dies denkt. Zur exklusiven und völlig überfüllten Voreröffnung kommt auch Dirk Schönberger, dessen Abschied wir gestern erlebt haben. Er hat den Katalog zur Ausstellung verantwortet: Wenige, präzise Worte, großformatige Bilder. In einigen steht – im Foto! – Joop! Eine ziemliche Provokation in der Kunstwelt, in der man eigentlich nicht mehr provozieren kann (aber kaum wahrgenommen wird). Denn seitdem die 68er Generation  Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Kapitel „Kulturindustrie als Massenbetrug“ entdeckt hat, steht jede Annäherung zwischen Unternehmen und Kunst unter dem Verdacht der kommerziellen Ausbeutung. Ich erinnere mich noch gut an die Debatten als Hugo Boss Anfang der 1990er Jahre sein Kunstsponsoring anfing. Vereinfacht geht es in dem Aufsatz darum, dass Horkheimer und Adorno vor einer erneuten Instrumentalisierung der Massen, wie es die Nazis mittels einer Lifestyle Propaganda taten, warnen wollten. „Die Nazis entwickelten unter dem Primat der Politik die erste kapitalistische Massenkultur auf europäischem Boden. … Sie wurde von den Nazis bewusst als ein die Massen blendendes und bindendes Herrschaftsmittel eingesetzt.“ So habe ich vor wenigen Tagen in einem Beitrag über die Deutsche Modegeschichte den Schweizer Designtheoretiker Beat Schneider zitiert. Dieser Kontext kann leicht missverstanden werden. Denn später im Auto zur Michalsky Style Night, kommen wir auf die „Tiefkühlästhetik“ von Mühes Bildern, seinem Spiel mit der Nazi-Ästhetik zu sprechen. Doch wenn man neue Wege geht, geht es oft da lang wo es weh tut. Und in Deutschland sind viele auf der Suche nach Identität. Wird die Kunst, nach dem sie ja während der Boom-Jahre lahmte, wieder relevant? Berührt sie mich –endlich – wieder?

Das hätte die Zukunft sein können

Ich spreche Dirk Schönberger darauf an. Wir kennen uns seit über zehn Jahren, haben aber nie wirklich einen Draht zueinander gefunden. Nun beginnt er sich, mitten im Getümmel, für wenige Minuten zu öffnen. Zunächst sprechen wir kurz über gestern Abend. Ja, es war vom Unternehmen nicht gewollt, dass er zum Abschluss der Schau auftritt. Nein, er hat selber gekündigt. Und dann sagt er, dass er mit Andreas Mühe die Kampagnen für Joop! realisieren wollte. Ich erschaudere etwas, wenn ich an die Tragweite denke: Endlich würde ein deutsches Modeunternehmen wieder relevante Modefotos haben. Würde eine Kraft entstehen wie F.C. Gundlach (er kuratierte die Ausstellung) sie vor 30, 40 Jahren entfaltet hat. Kurz öffnet sich ein Fenster wie die Zukunft von Joop! hätte aussehen können; wie weit Schönberger Joop! nach vorne bringen wollte. Allerdings: Schon einmal hat die Holy-Gruppe, zu der auch Joop! gehört, auf Kunst gesetzt. 2002 habe ich über die „Windsor Collection“ geschrieben, die die Kuratorin Michelle Nicolle und der Kommunikationsberater Beda Achermann erstellten. Doch die Veränderung einer (Unternehmens)Persönlichkeit braucht Zeit – fünf Jahre mindestens. Und die gab es auch bei Windsor nicht.

Impulse und Erkenntnisse

Es sind diese wenigen, kurzen Momente der Impulse und der Erkenntnis weswegen ich eine Fashion Week besuche. Mich amüsiert, wie mich hier  bei Camera Works Leute wahrnehmen, die mich sonst ignorierten. Wer heute hier ist, gehört dazu. Als ob man dadurch ein anderer Mensch wäre. Nach zwei der nahrhaften Butterbrote (endlich mal etwas vernünftiges zu essen, statt dem allgegenwärtigen Fingerfood von dem man nie satt aber immer dick wird!) fahren wir zur groß angekündigten Michalsky Style-Night im Friedrichstadt Palast, nach eigenen Angaben Europas größter und modernster Show-Palast.

Mehr Größenwahn war nie

Im Eingang sehe ich Wolfgang Joop, der bedeutendste in Deutschland lebende Mode-Designer. Gerne würde ich ihn auf die Kürzungen unseres Telefon-Interviews ansprechen die sein Pressesprecher vorgenommen hat, wurden doch Breaking News herausgestrichen. Doch er ist umlagert. Große Freude den Gerd Harry Lybke, dem Galeristen der Leizpziger Schule mal wieder zu treffen. Es bleibt das einzige Highlight des Abends. Ich mache es kurz: 1.700 Gäste, die größte Theaterbühne der Welt für eine Kollektion die in 17 Läden verkauft wird. Mehr Größenwahn war nie. Alle waren über die langen Umbaupausen des fünfstündigen Abends massiv verärgert, viele Gästen gingen. Ich blieb bis 1.30 Uhr – auch an solchen Abenden lerne ich dazu.

Zuerst veröffentlicht unter dem Titel „insights and inspiration“ auf Young Germany.

Kategorie: - Berlin Fashion Week, Kunst, Messen, Mode - Kommentare(1)
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Kommentare(1)
  • 1. POPMAT » Mühe. Macht. Motive.:

    […] bis ins letzte Detail zu inszenieren. Bis zum 13. März zeigt die Galerie Camera Work die zweite Werkschau des Fotografen, kuratiert von F.C. […]

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