16. Februar 2010
Die Geschwistern Felicia und Melchior Moss entwerfen und produzieren unter dem Label "Slowmo" in Berlin-Friedrichshain umwelt- und sozialgerechte Mode.
Grüne Mode verbindet Ökologie und Lifestyle, Ethik und Business zu einem erfolgreichen Gesamtkonzept. Weltweit bemühen sich Bekleidungsunternehmen, den Herstellungsprozess umweltfreundlicher zu gestalten und soziale Mindeststandards in der Produktion durchzusetzen. Deutsche Unternehmen sind dabei international führend
Von Joachim Schirrmacher
Grün ist in Mode. Weniger als Farbe denn als Trend. Doch wer nicht nur beim Öko-Hype dabei sein, sondern saubere Mode ernst nimmt, muss viele ökologische, ökonomische und soziale Fragen beantworten. Bei der Herstellung der Textilien geht es in erster Linie um die Umwelt während bei der arbeitsintensiven Konfektionierung die Sozialstandards im Vordergrund stehen.
Mehr als Bio-Baumwolle
Bio-Baumwolle ist ein erster, bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer umweltgerechteren Mode. Schließlich werden rund ein Viertel aller weltweit eingesetzten Pestizide verwendet um konventionelle Baumwolle zu spritzen. Ökologisch problematisch ist zudem der Wasserverbrauch. Er beträgt – ob Konventionell oder Bio – pro Kilo zwischen 10.000 und 17.000 Liter, also pro T-Shirt gut 2.000 Liter. Synthetische Fasern sind daher eine wichtige Alternative. Sie können relativ umweltfreundlich hergestellt werden. Es geht bei umweltfreundlicher Mode jedoch nicht nur um grüne Fasern, sondern um den gesamten Herstellungsprozess. Dabei werden üblicherweise viele weitere Chemikalien verwendet: für das Bleichen, Spinnen, Weben, Färben und die so genannten Ausrüstungen. Sie erst machen eine Denimhose zur Jeans, ein Textil weich, glänzend oder bügelleicht. Hier gibt es schädlichere und umweltfreundlichere Verfahren. So kann man das Einlaufen durch Formaldehyd oder durch maschinelle Schrumpfprozesse begrenzen, Bleichen kann man mit Chlor oder Ozon. Doch die umweltfreundlichere Variante ist meist teurer.
Fashion Victims
Wenn Kunden immer mehr für immer weniger kaufen können, müssen immer mehr Menschen für immer weniger Geld arbeiten. Oft reicht dann der Lohn nicht zum Leben. Der Begriff „Fashion Victim“ bekommt eine ganz neue Bedeutung. Das Ziel seriöser Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen wie der Clean Clothes Campaign ist daher, dass in allen Ländern die wichtigsten Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen gelten: Organisationsfreiheit, Recht auf Tarifverhandlungen, Verbot von Zwangsarbeit, Mindestalter, Antidiskriminierung, angemessener Lohn, Arbeitsstundenregelung, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz.
Dies umzusetzen ist nicht einfach. Zum einen, weil nicht alle Länder die Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen verfolgen. Zum anderen, weil die meisten Kleidungsstücke in einem extrem arbeitsteiligen Prozess in einer Vielzahl von Unternehmen, Subunternehmen und Heimarbeitern, oft über viele Länder und Kontinente verstreut, hergestellt werden. Auch wird die Produktion oft in Freihandelszonen verlagert, da hier keine Steuern und Zölle auf die Waren erhoben werden. Selbst von schwimmenden Fabriken in internationalen Gewässern war zu lesen. Auch hier kann die Einhaltung der Arbeits- und Sozialrechte durch die Staaten nicht sichergestellt werden.
Unübersichtliche Überprüfung
Viele Bekleidungsunternehmen bekennen sich heute zu ihrer Verantwortung. Sie haben in Regelwerken, so genannten Code of Conducts, soziale Mindeststandards für ihre Zulieferer festgeschrieben oder schließen sich dem der Clean Clothes Campaign oder jenen ihrer Verbände an. Doch auch wo ein Regelwerk besteht und überprüft wird, hören die Differenzen noch lange nicht auf. Die Frage ist: Wie unabhängig ist der Prüfer?
Bei Umweltsiegel gibt es, anders als bei Lebensmitteln, keines welches bei Endverbrauchern wirklich bekannt ist. Selbst für Experten sind sie aufgrund der Vielzahl von technischen Daten und Grenzwerten nur schwer zu unterscheiden. Hinzu kommt, das die Zertifizierung eines Siegels oder einer Überprüfung teuer ist. Auch weil all die Regelungen so umfangreich sind, dass sie leicht einen Ordner füllen, ist dies für kleine Unternehmen kaum zu leisten.
Pioniere fairer Mode
Zu den weltweit maßgeblichen Pionieren fairer Mode gehören die drei deutschen Unternehmen Hess Natur (Versandhaus für Naturtextilien), Klaus Steilmann (einst der größte Hersteller von Damenkonfektion in Europa) und die Otto-Group (der weltgrößte Versandhauskonzern). Immer gab die persönliche Überzeugung des Firmeninhabers den Ausschlag für das Engagement.
Vorreiter waren sie beim Aufbau von Know-how, Kooperationen und Standards sowohl in Deutschland als auch in den Anbau- und Fertigungsländern.
So hat Hess Natur 1991 das weltweit erste Biobaumwollprojekt in Sekem (Ägypten) initiiert. Weitere Projekte folgten in Peru, Senegal, der Türkei und Burkina Faso. Ebenso war Hess an der Entwicklung von ökologischen Leinen, Schurwolle und Seide beteiligt.
Klaus Steilmann hat an der Entwicklung und Durchsetzung ökologischer Qualitätsstandards, kompostierbarer Kleidung, chlorfreier Viskose, ökologisch optimiertem Polyester, Umweltmanagement-Konzepten oder Öko-Audits mitgewirkt. Durch die Kollektion seiner Tochter „Britta Steilmann – It’s one world“ wurde umweltgerechte Mode einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Doch das – aus sozialen Engagement – zu lange Festhalten an den Arbeitplätzen in Deutschland führte das Unternehmen an den Rand der Insolvenz.
Otto hat 1986 das Unternehmensziel einer „deutlichen Umweltorientierung“ eingeführt. Das Ziel von Michael Otto war es, ökologische und soziale Kriterien mit ökonomischen Zielen in Einklang zu bringen. So wurden umfangreiche Umwelt- und Sozialmanagementsysteme realisiert. Nach eigenen Angaben sind heute 99 Prozent des Textil- und Bekleidungssortiments schadstoffgeprüft – und zwar zum gleichen Preis wie konventionelle Ware. Das Projekt „Cotton made in Africa“ will zu Armutsbekämpfung und Umweltschutz in Afrika beitragen. 130.000 Kleinbauern produzieren im Jahr 85.000 Tonnen Baumwolle. Es wurde mit Partnern wie der Deutschen Bundesregierung, der Deutschen Welthungerhilfe oder der Bill & Melinda Gates Foundation gegründet.
Zusammen mit der Stiftung des Friedennobelpreisträgers Muhammad Yunus, dem Vater der Mikrokredite, wurde eine Fabrik in Bangladesch errichtet. Zweck ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Lösung von sozialen und Umweltproblemen. Grameen Otto ist das erste Unternehmen dieser Art weltweit und soll ein Leuchtturm für sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften werden.
Bei allen drei Unternehmen handelt es sich um ein ganzheitliches Engagement, das auch Fragen des Lebenszyklus für Produkte und Prozesse, der Verkehrströme, der Gebäude, des Papiers und oft auch der Verpflegung in der Kantine umfasst. Beispielsweise baute Otto ein Versandzentrum in unmittelbarer Nähe des Mittellandkanals, um die Einfuhren aus den Fertigungsländern vom Hamburger Hafen nicht per LKW, sondern mit dem Schiff transportieren zu können.
Aktivitäten die auch international wahrgenommen werden. So schreibt die International Herald Tribune Deutschland „has been in the forefront of the green movement“. Und US-Medien wie die Fachzeitung Women’s Wear Daily waren von der Gewissenhaftigkeit Hess schwer beeindruckt, als das Unternehmen 2009 sein Amerika-Geschäft aufbaute.
Das Beispiel macht Schule
Durch ihre Projekte wurden und werden Standards gesetzt, die großen Einfluss auf den Massenmarkt haben. So wurden die krebserzeugenden AZO-Farbstoffe verboten. Heute verkaufen die Unternehmen kaum noch Kleidung ohne den minimalen Öko-tex 100 Standard. Auch Konzerne wie Wal Mart, C&A oder H&M folgten den von ihnen aufgezeigten Weg.
Zunehmend nehmen sich Regierungen dem Thema an: Die Vereinten Nationen haben die Initiative „Global Compact“ gegründet, die OECD hat „Leitsätze für multinationale Unternehmen“ herausgegeben und das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung lädt seit 2001 zum Runden Tisch „Verhaltenskodizes“.
Auch die einflussreiche Stiftung Warentest, 1964 von der Bundesregierung gegründet, untersucht Produkte wie Funktionsjacken, Herrenhemden oder Turnschuhe auf ökologische und soziale Kriterien.
Für viele Unternehmen, gerade von Aktiengesellschaften, gehört die Einhaltung dieser Standards zur Risikovorsorge, da kein namhafter Konzern einen Imageschaden riskieren will. Sei es durch Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen oder durch Medienberichte. Auch wird Nachhaltigkeit – oder Corporate Social Responsbility – heute von Rating-Agenturen in die Unternehmensbewertung einbezogen. Mit dem „Dow Jones Sustainability Index“ ist es zudem ein Faktor in der Finanzwelt geworden.
Es bleibt eine harte Nuss
Trotz aller Erfolge, es bleibt schwierig etwas grundlegend zu verändern. Am einfachsten ist noch das Umstellen der Baumwollfelder von konventioneller auf nachhaltige Bewirtschaftung, was drei Jahre dauert. Dennoch werden erst 0,55 Prozent der Welt-Baumwollernte ökologisch nachhaltig produziert.
Noch viel komplizierter ist die so genannte textile Kette mit ihren weltweiten Strukturen. Dieses System aufzubrechen ist selbst prominenten Designern wie Katharine Hamnett (London) und Milliarden schweren Unternehmen wie Otto bislang nur begrenzt gelungen. So konnte Hamnett ihre e-Kollektion nicht auf den Markt bringen. Auch Otto bleibt weit hinter eigenen Zielen zurück. 2006 sollten Artikel aus Biobaumwolle zehn Prozent des Sortiments bilden, also etwa 5.000 Artikel. Angeboten wurden 2007 jedoch nur 34 Artikel. Hier wird beispielhaft die Problematik deutlich.
Da selbst Weltkonzerne wie die Otto Gruppe nur wenig ausrichten können, setzte sich das Unternehmen für den einheitlichen Sozial-Mindeststandard „Business Social Compliance Initiative“ (BSCI) ein, den in Europa über 250 Unternehmen unterschrieben haben.
Auch an der Kommunikation hapert es. Sicher auch, weil Hess Nature, Steilmann und Otto den preissensiblen Massenmarkt bedienen wollen. Doch ist es sinnvoll einen fair hergestellten Bademantel aus Bio-Baumwolle für 29 Euro anzubieten?
In den angelsächsischen Ländern wird die neue grüne Bewegung wesentlich von Prominenten wie Madonna oder Al Gore getragen. Sie heben das Thema auf die Bühne der Gesellschaft. Doch welche Stückzahlen werden darüber verkauft?
So wird kontrovers diskutiert, ob man bei umwelt- und sozialgerechter Mode auf einen Standard mit einem Mindestmaß, dafür aber für sehr große Stückzahlen setzt oder will man wenige Kleider mit einem sehr hohen Standard für eine relative kleine Gruppe?
Klein und sexy
Hier kommen die zahlreichen kleinen Unternehmen und selbständigen Designer ins Spiel, die sich zu 100 Prozent der fairen Mode verschrieben haben. Obwohl sie sich oft auf einfache Baumwollprodukte beschränken, spielen sie eine entscheidende Rolle der Fair Fashion mehr Attraktivität zu verleihen. Die Szene boomt. Kirsten Brodde, Autorin des Sachbuchs „Saubere Sachen“, schätzt, dass es alleine in Deutschland 150 kleine Öko-Labels gibt.
Mode ist wichtiger als Mission
Sei es elegante Couture von Inka Koffke oder lässiges von Labels wie Vilde Svaner oder Slowmo. „Sie haben gelernt, dass Mode wichtiger als die Mission“ ist, sagt Brodde. Der Designerin Magdalena Schaffrin wurde 2009 gar der Berliner Umweltpreis verliehen.
Vor allem wird das Angebot der neuen grünen Bewegung anders wahrgenommen. Obwohl Eterna klassische Businesshemden nach dem strengen Öko-tex 1000 Standard produziert, ist dies kaum bekannt. Das anlässlich der Kopenhagener Klimakonferenz vorgestellte Luxushemd Brainshirt konnte sich dagegen auf Anhieb einen guten Ruf in der Szene verschaffen. Die zurückhaltende Gestaltung erfüllt das wichtigste Kriterium für ökologische Bekleidung: Langlebigkeit. Kirsten Brodde geht noch weiter: „Wirklich avantgardistisch ist es, sich bei allen neuen Kleidungsstücken zu fragen: Brauche ich das wirklich?“
Veröffentlichungen
Deutschland Magazin 1/2010 unter dem Titel „Grüne Mode – aus der alternativen Szene in den Mainstream“ in gekürzter Form (Erstveröffentlichung)
Alemanja.org, 3. März 2010: „MODA VERDE: Empresas alemãs são líderes internacionais no desenvolvimento de moda ecológica e socialmente justa„