10. Juli 2010
Ausgewählte hatten das Glück, sich in der etwas kühleren Lounge von Mercedes-Benz zwischen den Schauen zu erfrischen. Hier die Finalistin Marie Nasemann von der Casting-Schau Germany Next Top Model im Gespräch mit einem Fotografen.
Fünf Messen, mehr als 2.000 Aussteller, 70 Schauen, 150 Veranstaltungen in vier Tagen – die Berliner Fashion Week ist kaum zu meistern. Und doch fügte sich alles zusammen – die Energie der Stadt, das Business auf den Messen und der Glamour der Schauen.
Von Joachim Schirrmacher
Die Bandbreite der Mode ist in Berlin groß: von Jeans und Streetwear (Bread and Butter), Women- und Menswear (Premium), High Fashion (MercedesBenz Fashion Week Berlin im Schauenzelt am Bebelplatz), grüner Mode (u.a. The Key.to und Green Showroom), kommerzielleren (aber zumeist sehr aufwendigen) Präsentation wie Hugo Boss, Calvin Klein oder Michael Michalsky) oder künstlerische Inszenierungen in Galerien (besonders schön: das Label Odeeh). All dies zieht (oft auf Einladung der Unternehmen) prominente Gäste an wie Model Milla Jovovich, Hutdesigner Philip Treacy, Fotograf Miles Aldridge, Sportler wie Boris Becker und Vitali Klitschko und viele Schauspieler wie Jessica Alba, John Malkovich, Ewan McGregor, Diane Kruger oder Matthias Schweighöfer.
Berlin inspiriert
Und so wundert es nicht, dass die Antwort auf die Frage „Berlin oder New York?“ eindeutig ist: „Berlin!“. Gerade die ausländischen Journalisten finden Berlin inspirierend. So lies Brigitte R. Winkler vom Wiener „Kurier“ in Paris die Haute Couture Schauen von Gaultier und Valentino aus, um von Anfang an in Berlin sein zu können. „Berlin is just a great city. It is bohemian and experimental, it is colourful, stimulating and an exciting place to be“, sagt Winklers Kollegin Caia Hagel aus Kanada, die für Magazine wie Code, Rolling Stone oder Wallpaper schreibt.
Warum Berlin so wichtig ist, erklärte Michael Michalsky der Tageszeitung Die Welt: „Das, was in Mailand, Paris und London gezeigt wird, ist zwar interessant, aber es folgt einem antiquierten Modeverständnis. Ich kenne niemanden, für den diese Mode im Alltag Relevanz hat. In Berlin wird gezeigt, wie sich Menschen heutzutage anziehen.“
Suche nach Normalität
Die Trends sind auf den ersten Blick gar nicht so einfach auszumachen. Den nach all dem Bling Bling der vergangenen Saisons herrscht nun eine Sehnsucht nach Normalität und Einfachheit. Gezeigt wird er auf der Messe Bread & Butter im Bereich „L.O.C.K“. Doch es ist ein romantisierender Blick nach hinten. Viele Aussteller geben Einblicke in ihre Produktionsprozesse, stehen mit Lederschürzen an ihren Ständen, als ob sie Handwerker wären. Doch wie sieht diese Haltung nach vorne gedacht aus? Wie kann man Handwerk und High-tech, gesellschaftliche Verantwortung und gestalterische Vernunft verbinden?
Auffallend: Die Männemode ist sehr viel frischer und ausdrucksstärker. Sie hat die interessanteren Farben, ist deutlich weiter vorne. Die Frauen wirken dagegen geradezu traditionell und verhalten. Dies trifft sowohl auf die gezeigten Kollektionen als auch die Besucher zu.
Je kleiner, je besser
Die Sehnsucht nach Normalität brachte c.neeon auf den Punkt: „Eine Schönheitskönigin wird sie niemals werden. Aber ihr vergnügter Sinn macht, dass hier auf Erden sie vom Glück nicht wird vergessen“, zitierten die beiden Designerin Clara Leskovar und Doreen Schulz Hannah Höch.
c.neeon zeigte die einfachste Schau der Woche und doch eine der Besten: Im Hinterhof des Club Picknick, gleich neben dem Bundespresseamt, wurden einfach die Garagentüren geöffnet, Bierbänke auf den Rasen gestellt und los ging es. Der Geist von Berlin war genauso auf den Punkt gebracht wie das Sommergefühl durch die Bäume, die den Fotografen als Hintergrund dienten. Die Bauarbeiter auf ihrem Gerüst in der sechsten Etage staunten nicht schlecht. Unverständlich: Nur drei deutsche Geschäfte führen c.neeon. Käme c.neoon aus Los Angeles, gäbe es wohl hierzulande einen großen Hype um die beiden schüchternen Frauen.
Dabei bildet c.neeon zusammen mit anderen etablierten Berliner Designern wie Kaviar Gauche, Lala Berlin, Mongrels in Common oder Michael Michalsky zunehmend das Rückgrat der Berlin Fashion Week. Sie alle haben, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, ihre Themen und Märkte gefunden. Erstmals gab es das Gefühl, dass in Berlin eine Kraft entsteht, wie sie z.B. vor vielen Jahren durch die „Antwerp six“ (das sind Designer wie Dries Van Noten oder Anne Demeulemeester) entstand. Dabei profitieren die jungen Designer durch die von einer Fashion Week erzwungene Professionalität.
Diese Professionalität wurde auch durch eine Reihe von Wettbewerben gefördert, wie dem Preis „Designer for Tomorrow by Peek & Cloppenburg Düsseldorf„, den Parsival Cserer mit Kleider mit geometrischen, digitalisierten Strickmustern in starken Farben für sich entscheiden konnte. Oder dem Wettbewerb „Start your Fashion Business“ des Berliner Senats. Teilnahmebedingung war neben einer ausgereiften Kollektion auch ein überzeugender Businessplan. Aus 100 Bewerbungen wurden Perret Schaad, Michael Sontag, Sadak, Margiotta Plaskova und Vladimir Karaleev nominiert. Neben den Preisgeldern (1. Preis Michael Sontag 25.000 Euro, 2. Preis Perret Schad 15.000 Euro, 3. Preis Vladimir Karaleev 10.000 Euro) gehörten zum Gewinn jeweils PR-Leistungen in Höhe von 5.000 Euro oder eine längerfristige, betriebswirtschaftliche Unterstützung. „Es ist extrem schwierig für junge Designer, sich am deutschen Markt durchzusetzen. Einkäufer sind zurückhaltend, Investoren gibt es kaum“, begründet Tanja Mühlhans, Referentin für Kreativwirtschaft des Berliner Senats, die Initiative für diesen Preis. Auffallend: Die Gewinner beider Preise sind allesamt Absolventen der Kunsthochschule Berlin Weissensee.
Damit der Erfolg der Jungen weiter ausgebaut wird, realisiert die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft ihr Projekt „30 Paar Hände“. Dafür erstellen Studenten aus den Fachgebieten Gestaltung, Technik und Wirtschaft im Rahmen einer Übungsfirma eine Kollektion – von der Idee bis zur Vermarktung. Jedes Semester formiert sich ein neues Team von Studierenden, das mit Partnern aus der Wirtschaft die Konzepte in die Praxis umsetzt. Die präsentierten Modelle überzeugten bis auf wenige Ausnahmen und brauchten sich keineswegs hinter etablierten Kollektionen verstecken.
Am Freitagabend zeigten dann die beiden Berliner Hochschulen Weißensee und Universität der Künste (UdK) Arbeiten aus dem Studium sowie die Abschlussarbeiten. Weißensee präsentierte im klimatisierten Haus der Kulturen der Welt, die UdK im brütend heißen ehemaligen Fernmeldeamt. Im Vergleich wurde deutlich welch große Rolle bei jeweils hohem Niveau der Entwürfe eine professionelle (und teure) Inszenierung spielt: die richtigen Models, Schuhe, Haare, Accessoires und Katalog tragen wesentlich dazu bei, die Entwürfe auf dem Stand heutiger Sehgewohnheiten zu beurteilen. Dank Mittel der Hochschule konnte die Udk hier deutlich punkten. Eine große Ausnahme, da Mode und Design in den Bildungsministerien kaum wahrgenommen wird und damit die Mittel fehlen.
Das Haus der Kulturen der Welt will sich übrigens künftig verstärkt der Mode widmen, da „Mode der dynamischste Bereich der Kultur ist“ wie Intendant Dr. Bernd M. Scherer anlässlich der Eröffnung Dysfashional sagte, die den Auftakt der Berliner Modewoche bildete (noch bis 17. Juli). Dysfashional zeigt speziell angefertigte Objekte von renommierten Modedesignern wie Hussein Chalayan, Raf Simons (Jil Sander), Antonio Marras (Kenzo) oder Michael Sontag. „Es geht darum, die Grenzen zwischen Fashion und Kunst zu hinterfragen“, erklärt Kurator Luca Marchetti. Das klingt sehr nach Berlin.
Veröffentlicht
Zuerst erschienen in englischer Sprache in gekürzter Form unter dem Titel „Longing for normality“ auf Young Germany, 12. Juli 2010
Super Bericht! Sie ordnen Berlin endlich einmal richtig ein. Die Einkäufer aus Italien und Frankreich kommen nach Berlin aus kommerziellen und soziokulturellen Gründen. Berlin ist keine Modestadt im traditionellen Sinne. Berlin ist eine Modestadt, weil hier das Bild einer neuen Zeit sichtbar und spürbar ist. Messen wie die Bread and Butter oder die Premium geben dem ein starkes kommerzielles Fundament, etwas was so weder in Paris noch in Mailand vorhanden ist. Dies wird leider von wenigen Medien verstanden.
Elke Giese, Deutsches Mode-Institut