5. Juli 2011
Ein Lebensgefühl – darum geht es. Wie die Modemesse „Bread & Butter“ in Köln entstand
Von Joachim Schirrmacher
Die erste „Bread & Butter“, als Satellit zur traditionsreichen Kölner Messe „Herren-Mode-Woche/Interjeans“ geplant, funktionierte wie ein Club mit einer extrem strengen Tür – nur der innere Zirkel hatte Zugang. Statt Masse in funktionalen Messehallen Klasse an einem aufregenden Ort, lautete das Konzept im Sommer 2001.
Inszeniert wurde die „Off-Show“ von Ansgar Schmidt und Hennig Ziepke vom Architekturbüro S1 im „eckigen Rundbau“ einem Industriedenkmal, dass mit seinen Galerien an das New Yorker Guggenheim Museum erinnert. Es herrschte eine bis dato ungekannte Welt, alles wurde bis ins kleinste Detail gestaltet, sogar eine eigene Währung die „Brands“ wurde geschaffen.
Jeder Schritt war ein Erlebnis
Jeder Schritt war für die 5000 Besucher ein Erlebnis. Wie befreit feierte die Modebranche den Abschied vom Muff der 1970er Jahre: Statt an Tischen über Abverkaufsquoten zu sprechen, saß man in einer Lounge und inhalierte den Lifestyle; natürlich mit einem Milchkaffee von „Herrn Spoerl“, dem trendigsten Café aus Düsseldorf. Es war, als ob man von zu Hause ausgezogen wäre und endlich eine sturmfreie Bude hätte. Party all Night long. Denn auch die lokalen Clubs wurden in das Programm der Messe, die keine Messe sein wollte, eingebunden.
Gleich ein durchschlagender Erfolg
Die 50 Aussteller übertrafen sich gegenseitig mit ihren Präsentationen. Pepe baute einen zur Legende gewordenen „Fleamarket“ auf, später Boxfresh einen großen Pool zum Baden, und G-Star ließ einen Rhein-Dampfer zum Showroom umbauen und seine Kunden die wenigen Meter zum Rhein formvollendet chauffieren.
Gleich die erste Veranstaltung, von Karl-Heinz Müller und seinen Freunden Christian Geyr und Wolfgang Ahlers neben ihren Jobs organisiert, war ein durchschlagender Erfolg. Die Gründe dafür waren vielfältig.
Ein klarer Gegner
Zunächst gab es mit der „Herren-Mode-Woche/Interjeans“ einen klaren Gegner. Das Unternehmen, mehrheitlich im Besitz der Stadt Köln und des Landes Nordrhein-Westfalen, zeichnete zwar noch im Sommer 2000 das stolze Bild einer Weltleitmesse – rund 1.500 Unternehmen aus 42 Staaten belegten eine Ausstellungsfläche von 180.000 Quadratmetern und damit mehr als alle anderen europäischen Männermodemessen zusammen. Die Pressemitteilungen strotzen nur so vor Superlativen: „Treffpunkt der globalen Entscheider“, „die idealste geographische Lage, der größte wirtschaftliche Erfolg, die höchste Besucherfrequenz, den besten Service“, ja: „Die beste Messe für Männermode.“
Doch während die Köln-Messe jubelte, herrschte unter Ausstellern und Einkäufern Unmut. Sie klagten über verrammelte „Messeburgen“ (jene großen Messetände die von hohen Wänden umgeben sind und wo nur erwünschte Einkäufer nach einer Eingangskontrolle Zugang haben), den Kantinencharme der überteuerten Messerestaurants, eine altbackene Atmosphäre, fehlenden junge Talente und inspirierende Inszenierungen.
„Unternehmen wie Levi´s, G-Star oder Pepe, also Marken, die was zu sagen haben und Profis im Entertainment sind investieren Unsummen in ihre Kommunikation, und dann kommt die Köln-Messe und macht alles kaputt,“ so Müller schon im Frühjahr 2000 in einem Interview mit dem Autor. Dazu bot die Bread & Butter eine Alternative.
Ein Unikat unter den Messemachern
Ein anderes Erfolgsgeheimnis ist Müllers Lebenslauf. Müller ist mit allen Wassern der Branche gewaschen. Er startete als Auszubildender eines Delikatessengeschäftes, arbeitet in der Industrie für Mars, Levi’s, Bigstar, Marc O’ Polo und Pepe bevor er sich in Köln mit dem Jeansfachgeschäft „Fourteen Ounce“ sowie der Vertretung von Le Coq Sportif selbstständig machte. Müller ist mit diesen Erfahrungen ein Unikat unter den deutschen Messemachern.
Informeller und legerer
Der notwendige Sauerstoff kam durch einen neuen Zeitgeist. Waren Anfang der 1990er Jahren noch große Konfektionäre wie Steilmann wichtig, wurde die Kleidung nun informeller und legerer. Ein Segment, das Müller „Street- und Urbanwear“ nennt, ist heute wohl der größte Modemarkt. Auch deutete sich an, dass das Modegeschäft sehr viel internationaler wird. Neue Marken aus den USA und Skandinavien spielten eine große Rolle.
Lebensgefühl statt Produkt
Doch vor allem hatte Müller verstanden, dass es nicht mehr nur um das Produkt, sondern vor allem um ein Lebensgefühl geht. Kleider brauchen heute eine adäquate Präsentation mit der entsprechenden Architektur, Musik, Essen und Unterhaltung. Zumal die meisten Einkäufer um die 30 Jahre alt sind und nicht mehr zwischen Mode, Marketing oder Musik unterscheiden. Anregungen für so eine Inszenierung bot Müller nicht nur das Rahmenprogramm der Musikmesse „Popkomm“ und das Offprogramm „Passagen“ zur Kölner Möbelmesse, sondern auch die Londoner Messe „40 Degree“ sowie die Münchener Sportartikelmesse ispo.
Einkäufer kommen in Stimmung
Die „Bread & Butter“ leistet so (neben all der erforderlichen Logistik), was eine der wichtigsten Aufgabe eine Modemesse ist: die Saison unter das Vorzeichen einer positiven Stimmung zu stellen. So kommen die Einkäufer in Stimmung, wird die Story of the season transportiert. Jedes Mal wurde die „off-Show“ größer und entwickelte sich immer mehr zu einer Messe neuen Typhus. Karl-Heinz Müller wurde in kürzester Zeit zu einer Schlüsselfigur der Branche. Immer wieder überrascht Müller mit seinen Entscheidungen, der die Branche bereitwillig folgt.
Goliath fällt
Der Erfolg brachte eine starke Dynamik. Zunächst geriet die Köln-Messe ins Wanken. Zwar wurde die „Interjeans“ völlig neu konzipiert. Und die konzeptionelle und kreative Leitung der nun „Vibes4U“ genannten Messe übernahmen zur Überraschung aller die Gesellschafter der „Bread & Butter“. Doch obwohl die so lange bemängelte Inszenierung nun Niveau hatte, hatte man mit den zweitklassigen Ausstellern keine Chance. Hinzu kam, dass die Düsseldorfer Messe für Damenmode CPD Köln den Kampf angesagt und die Herren-Mode nach Düsseldorf geholt hatte. Am 17. Dezember 2002 um 13.30 Uhr kam das offizielle Aus. Die weltweit führende Leitmesse für Männermode, Jeans- und Streetware erlebte in nur zwei Jahren ihren Niedergang. Und auch die Musikmesse Popcom ging von Köln nach Berlin. Die Ankündigung Müllers, nach drei Veranstaltungen im Januar 2003 nach Berlin zu gehen, löste Begeisterung aus.
Veröffentlicht
Mach mal Stimmung, Der Tagesspiegel, 5. Juli 2011, Seite 29