6. Oktober 2018
Jahreszeiten und Saisons sind durcheinandergeraten, Schauen sind zu Marketingevents geworden, alles muss immer noch ein bisschen schneller werden. Um der Mode den Puls zu fühlen, ist unser Autor nach Paris zur Modewoche gefahren.
Von Joachim Schirrmacher
Die Berliner Modewoche Anfang Juli war dürftig: die wenigen Schauen waren dominiert vom Marketing, auf den Messen herrschte weitgehend gähnende Leere, der Berliner Salon war deutlich schwächer besucht und die meisten Berliner Designer verzichteten darauf ihre Kollektionen zu präsentieren. Zeit, zu sehen, ob in Paris noch der Puls der Mode schlägt. Gefunden habe ich einen ordinären Ausverkauf – und das Paradies.
Paris-Parodie
Es ist schon länger vom Ende der Mode die Rede. Auf der Rue du Faubourg Saint-Honoré wird es offensichtlich. Mode ist hier keine Kultur mehr, sondern nur noch ein Geschäft, das von wenigen Konzernen dominiert wird. All die Läden mit ihrem industrialisierten Luxus wirken in dieser Konzentration austauschbar und erinnern an die Shoppingmalls internationaler Flughäfen. Hier werden Markenwerte kapitalisiert, aber keine neuen Werte geschaffen.
Auf der Pariser Tagung des neu gegründeten Netzwerks für Modeforschung, „Culture(s) de Mode“, sagten die Journalistinnen Laurence Benaïm (die für Le Figaro das erste Celine Interview mit Hedi Slimane führte, welches weltweit Beachtung fand) und Sophie Abriat, das von Paris ein ungebrochener Sog ausgehe, jedoch gleichzeitig eine zunehmende Fixierung auf Klischeebilder stattfinde. Die Stadt verkomme für die Modebranche zunehmend zum Dekor, sie nennen das „Paris Parodie“.
Indem er eine Sargdecke mit Chanel-Logo in einem Bestattungsunternehmen ausstellte, übte Waldemar Kraus, Mode-Professor an der Universität der Künste Berlin, gleichzeitig Konsumkritik. Das Projekt „Ruhe in Frieden“ (das in Berlin natürlich offiziell #restinpiece heißt) wurde auf der Art Week in Berlin gezeigt.
Wunderschönes Disneyland
Zumindest ist das Flair der Welthauptstadt der Mode noch da. Abseits der großen Einkaufsstraßen ist Paris weiter so elegant, wie es die Modewelt mag: wunderschöne kleine Geschäfte mit Artisanal Chocolat oder Parfüm, traditionelle Bäcker und Bistros, Märkte mit Fisch und Gemüse – arrangiert wie für ein Gemälde – und Spitzenhotels mit einem in Deutschland unbekannten Luxus wie den atemberaubenden Blumenarrangements im George V., alles vor den monochromen Fassaden der Ära Haussmann. „Die Magie von Paris lässt alles noch mal schöner aussehen“, so erklärt Fabienne Mauny, Geschäftsführerin des Parfümhauses Diptyque, die anhaltende Begeisterung.
Lange galt Paris als erstarrt, doch in einer globalisierten und damit uniformierten Welt, wo sich ständig alles wandelt, erscheint die Stadt wieder attraktiv. Allerdings fühlt man sich wie im Warenhaus Manufactum, das sein Sortiment mit dem Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ zusammenfasst: in einer wunderschönen Disneylandwelt.
Gebündelte Kräfte
Zudem positioniert sich Paris immer stärker für die internationalen Einkäufer und Journalisten. Der letzte Ort, wo sich die Kräfte der Mode bündeln?
Der offizielle Kalender überzeugt jedenfalls mit den größten Namen der Mode. Da jetzt alle Welt nach Paris kommt, wird es für die Deutschen zunehmend schwierig Einladungen zu den Schauen zu erhalten, wie das bloggende Model Marie von den Benken auf Stern.de schreibt.
Aber es gibt ja noch die zahlreichen Showrooms, auch von deutschen Marken wie Closed, Odeeh, Schumacher, Trippen oder Wunderkind, außerdem ungezählte Präsentationen und Events wie die sehenswerte Ausstellung der Kleider von Azzedine Alaia und die Messen Tranoi (mit 4 Standorten) und Premiere Class. Jeder versucht hier sein Glück zu machen. Nur wenige haben aber internationales Niveau.
Eine neue Jugendkultur
Trotzdem träumt eigentlich jeder davon, den Durchbruch zu schaffen mit einer großen Schau, die immer noch der Kern der Modewoche sind.
Die französische Designerin Isabell Marant zeigte statt ihres unbeschwerter Boho-Chic – junge Streetwear mit Einflüssen der Hippie Zeit – glitzernde Mikrokleider. Der Look war ähnlich auch bei Celine oder Saint Laurent zu sehen.
Väter können endlich wieder ihren Töchtern verbieten so aus dem Haus zu gehen. Eine gute Nachricht! Nach Jahrzehnten haben wir erstmals wieder eine echte Jugendkultur, wie der Trendanalyst fürs Deutsche Modeinstitut Carl Tillessen feststellte. Junge Leute sehen in den Silhouetten der späten 80er- und frühen 90er Jahre mit grotesk überschnittenen Schultern, voluminösen Keulenärmeln, Moon-Wash-Jeans oder Oversized-Jeansjacken edgy aus – eine 50-Jährige wirkt darin stehen geblieben. Die Welt der Mode fällt also wieder in zwei Teile.
Albert Kriemler ließ sich davon für Akris glücklicherweise nicht irritieren (er zeigte allerdings erstmals Sneaker von On). Er zeigte Kleider aus kostenbaren Stoffen, in perfekter Passform und mit Nähten wie Skulpturen. Kleider, die eine Autorität verleihen, die unmittelbar verstanden wird, auch von Personen weit jenseits der Modewelt, nicht nur an Prinzessin Charlene von Monaco, die ebenfalls die Präsentation besuchte.
Die Schau von Johnny Talbot und Adrian Runhof im historischen Ballsaal des Westin Hotels war ein Treffpunkt der Deutschen, zudem hatten sie ihre besten 100 Endkunden eingeladen (und mit einer Goddiebag beglückt).
Nobieh Talaei zeigte erst am Montagnachmittag, wo wir schon auf dem Rückflug waren.
Vivienne Westwood hat jetzt ihrem Markennamen den ihres Ehemanns Andreas Kronthaler hinzugefügt, er hat die kreative Leitung übernommen. So ist der Look denn auch deutlich jünger geworden. Skater präsentierten in einer Garage die Kollektion, eine Inszenierung, die sehr gut zu Berlin passen würde (aber hier sehnt man sich eher nach falschem Glamour, dabei ist das RAW-Gelände unser Louvre). Kronthaler zeigte eher Gewänder als traditionelle Kleider, aufwendige Drapierungen sowie delikate Farb- und Materialkombinationen. Das Styling übernahm überraschenderweise der deutsche Designer Bernhard Willhelm. Bekannt für seine starken Inszenierungen übertrieb er auch diesmal, dass es eine Freude war: SM-Geschirr zum blumenbestickten Body, ein Thonet-Stuhl als Kopfschmuck und ein Tablett als Korsage, schief sitzende Perücken in Orange, Grün und Rosa. Die muskulösen Beauties mit kräftigem Gemächt, welche die Unterwäsche präsentierten, waren noch das Normalste.
So entstand eine Kraft, mit der man sich identifizieren konnte. Ob das Trio bald eine Revue im Friedrichstadtpalast ausstattet?
Vor und nach solchen Präsentationen gibt es quasi eine zweite Schau mit den Besuchern als Models. Diese Chance nutzten auch Studierende der Modeschule Lette und schauten sich u.a. bei Rick Owens, Comme des Garçons oder Celine um.
Die Kraft der Mode
Wie Westwood gab auch Haider Ackermann dem Publikum den Glauben an die Kraft der Mode zurück. Ackermann gehört in Paris zu den angesehensten Designern und wurde 2010 von Karl Lagerfeld als Nachfolger genannt, ebenso war er im Gespräch für Dior und Maison Margiela.
Er verbindet gekonnt Welten und begeisterte so mit einer modernen und eleganten Alternative zur allgegenwärtigen Streetwear. Die scharf geschnitten Blazer, fließenden Mäntel und Hemden der Unisex-Kollektion überzeugten mit seinem Gefühl für Materialien und Farben. Die ethnischen Muster wirkten durch den Laserschnitt modern. Das Styling verbindet zumeist ein elegantes und ein lässiges Teil. Je genauer man hinsieht, desto schöner wirkt es.
Schon vor der Schau war man von der zarten und meditativen Atmosphäre gefangen, hinterließ mit seinen Sohlen Spuren auf dem gekalkten Boden, starke Scheinwerfer warfen riesige Schatten an die Wand. Bis dann die Models entspannt durch die Halle schlenderten, erst nur zum Klicken der Fotoapparate, dann zur rauen Stimmen von Haiders Hero, Paolo Conte. Ein Hochamt der Mode, das tiefe Erfüllung schenkte.
Haider Ackermann zeigt, was Mode im Idealfall auslöst: eine Schönheit, mit der man sich identifiziert und sich neu erfinden kann. Leider sind seine Kleider kaum in den Geschäften, sondern vor allem in Online-Stores zu finden. Aber man kann seine Kollektion ja auch als Anregung für das eigene Styling nutzen.
Alle Welt glaubt zwar, Fotos seien wichtiger als die Realität und Mode könne aus dem Rechner direkt in die Onlineshops gestellt werde. Doch der Unterschied zwischen Schau und Foto ist gewaltig: Oft meint man, eine ganz andere Veranstaltung besucht zu haben. Während das Video Westwoods Schau noch recht gut wiedergibt, bleibt bei Ackermann nur eine Ahnung: die Stimmung der Besucher, die fließenden Gewänder, die Farben und Qualität der Stoffe: all das vermitteln die Bilder nicht oder nur sehr unzureichend. Schon allein deswegen wird man für diese Schauen weiter nach Paris fahren.
Joachim Schirrmacher ist Creative Consultant und Autor in Berlin. Er verantwortet pro bono als Direktor der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie den Nachwuchspreis European Fashion Award FASH. Die über 100 Preisträger arbeiten, z.T. in Führungspositionen, bei Adidas, Akris, Dorothee Schumacher, Haider Ackermann, Hennes & Mauritz, Hugo Boss, G-Star, Puma, Mango, Missoni, Maison Margiela, Officine Gènèrale, Vivienne Westwood, W.L. Gore & Associates, Wolfgang Joop oder Zalando.
Veröffentlicht
Zuerst erschienen (leicht gekürzt): Der Tagesspiegel, 6. Oktober 2018, S. 25