12. Februar 2020
Joachim Schirrmacher, Teilnehmer der Podiumsdiskussion der Inhorgenta Trendfactory in Luzern
Während Nachhaltigkeit in der Uhren- und Schmuckbranche ein eher junges Thema ist, wird es in anderen Branchen seit vielen Jahren diskutiert. Joachim Schirrmacher, Teilnehmer der Podiumsdiskussion der Inhorgenta Trendfactory, berichtet aus der Welt der Mode.
Tanja Wenger Gold’Or: Joachim Schirrmacher, was bedeutet Nachhaltigkeit in der Mode?
Joachim Schirrmacher: Sie betrifft viele Bereiche: gesundheitliche Unbedenklichkeit der Kleider, Anbau und Gewinnung der Materialien, Chemie in textilen Prozessen, Arbeitsbedingungen, Transporte, Gebäude oder Tierschutz. Es sind viele kleine Punkte die in der Summe zum grossen Problem werden. Die sogenannte textile Kette mit einem extrem arbeitsteiligen Prozess in einer Vielzahl von Unternehmen und Subunternehmen, oft über viele Länder und Kontinente hinweg, macht es noch komplexer und intransparent. Da das wirtschaftliche System zugleich ein Umsatzwachstum fordert, gibt es massive Zielkonflikte.
Weshalb?
Ganz einfach, weil mehr als 7,6 Milliarden Menschen Kleider brauchen. Wenn alle auf unserem hiesigen Level konsumieren, zerstören wir weiter unsere Lebensgrundlage. Es braucht Lösungen für die gesamte Menschheit, keinen Eco-Luxus für einige wenige.
In welche Richtung könnten diese Lösungen gehen?
In der Mode wird das Thema heiss diskutiert, Medien berichten von der „grünsten Modewoche aller Zeiten“. Auf der einen Seite ist sehr viel passiert. Früher aufgrund persönlicher Überzeugung von Pionieren wie Klaus Steilmann, Heinz Hess oder Michael Otto. Heute vor allem aus Risikomanagement; die meisten Modeunternehmen sind im Besitz von Investoren. Auf der anderen Seite passiert gemessen am gesamten Umsatz wenig, vieles sind Ankündigungen oder kleine Vorzeigeprojekte.
Bei meinen Recherchen auf den Stoffmessen in München und Paris war das Angebot begrenzt. Die weltweit grösste Messe für Sustainable Fashion, Neonnyt in Berlin, hat gerade mal 117 kleine Anbieter. In den Geschäften und Online-Shops müssen sie immer noch mit der Lupe nach nachhaltiger Kleidung suchen. Gerade der Konsument ist gespalten.
Inwiefern?
Zwischen dem was gesagt wird und dem wie gehandelt wird gibt es eine grosse Kluft, ähnlich wie bei den Veganern. Man will konsumieren, aber ohne schlechtes Gewissen.
Worauf kann der Konsument achten?
Es ist schwierig, denn der Begriff Nachhaltigkeit ist in der Mode nicht geschützt. Es gibt mehr als 15 verschiedene Siegel, was selbst Experten überfordert. Da kann ein Siegel auf dem Produkt stehen, aber trotzdem ein umweltschädlicher Prozess stattfinden.
Lohnt es sich, teurere Produkte zu kaufen?
Bestimmte Preislagen kann man mit nachhaltig produzierten Produkten nicht unterschreiten. Dennoch kann man nicht davon ausgehen, dass teuer gleich gut und billig gleich schlecht ist.
Ist es überhaupt möglich, nachhaltig zu konsumieren?
Umweltschutz bedeutet natürlich auch Verzicht. Er funktioniert nicht, wenn jeder denkt, der andere sollte etwas tun. Wir haben sehr oft die Wahl, als Konsument und im Beruf. Es ist entscheidend, dass jeder kleine Schritte geht: Vor dem Kauf neuer Kleidung eine Nacht darüber schlafen, ob man das Stück wirklich braucht. Das müssen nicht nur Basics sein. Hochstehende Mode zum Beispiel von Akris, Dries van Noten oder Haider Ackermann ist so eigenständig, dass man auch in zehn Jahren noch Freude daran hat. Am Ende kann man den Pullover mit einem Ärmelflicken versehen. Luxus kann auch anders definiert werden als mit ständigem Wechsel.
Weshalb ändert sich trotzdem nichts?
Es ist ein psychologisches Problem: Wenn ich nachhaltige Kleidung trage, weiss ich das selber, andere sehen es aber nicht. Ich habe keinen Statusgewinn und ich erlebe auch nicht die positiven Auswirkungen. Zwar kostet eine umweltfreundlichere Produktion in den meisten Fällen nur wenig mehr, wird aber in der Kalkulation zum Endkunden deutlich teurer. Diese wiederum sind kaum bereit, über bestimmte Eckpreislagen hinaus mehr zu bezahlen. Zudem ist, wie besprochen, die textile Kette komplex. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, brauchen wir europäische Gesetze.
Was nützt der Einsatz von Organisationen wie Greenpeace?
Sie schaffen natürlich Aufmerksamkeit. Doch deren meist zugespitzte Argumentation ist nicht immer hilfreich. Sie nehmen zum Beispiel einen Maximalwert für den Wasserverbrauch von Baumwolle. Zudem stellen sie die Umweltauswirkungen nicht ins Verhältnis mit den Milliarden von Menschen, die Kleidung benötigen. Ich habe lange intensiv mit ihnen diskutiert. Wir teilen das Ziel, aber ich bin kein Freund der Moralkeule, sondern der Pluralität unterschiedlichster Lebensentwürfe. Die Lösung liegt nicht im mediengerechtem Schwarz-Weiss, sondern in den Mittelwegen.
Wo sehen Sie Parallelen und Unterschiede zur Uhren- und Schmuckbranche?
Ein wichtiger Unterschied ist die Kreislaufwirtschaft. Jedes Goldkorn wird gesammelt, Recycling ist kein Problem. Textilien nutzen sich hingegen ab, eine Kreislaufwirtschaft ist daher nur sehr begrenzt möglich. Aus alten Kleidern neue Kleider zu nähen ist privat sinnvoll, aber aufgrund des hohen Arbeitsaufwands wirtschaftlich kaum möglich. Weiter haben wir verlernt, den Wert der Kleidung einzuschätzen, weil wir hier kaum noch Produktion haben. Auch das ist im Schmuckbereich oft noch anders.
Joachim Schirrmacher ist Creative Consultant und Autor in den Bereichen Mode und Design. Er studierte in Köln Designmanagement sowie Ökologie und Design. In seiner Ausbildung zum PR-Referenten beim Otto-Versand lernte er viel über ganzheitliche Umweltpolitik. Er verantwortet pro bono den Nachwuchspreis European Fashion Award FASH der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie.
www.schirrmacher.org
Veröffentlicht
Zuerst erschienen: „Jeder Schritt zählt“ Gold’or, 25. Oktober 2019